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Archiv-Artikel

ÖSTERREICHS REGIERUNG FUNKTIONIERT NICHT – UND IST ALTERNATIVLOS Die Rache der SPÖ

In Österreich steht die Regierung aus SPÖ und ÖVP vor dem Aus. Schon relativ nichtige Gründe, wie der Streit um den Zeitpunkt einer Steuerreform, lösen den Wunsch nach Neuwahlen aus. Das sagt viel über den Zustand des Zweckbündnisses, das doch erst dreizehn Monate auf dem Buckel hat.

Von Anfang an war die große Koalition für beide Parteien die schlechteste aller möglichen Varianten, mangels Alternativen aber die einzige Lösung. Die SPÖ gewann zwar – überraschend – die Wahlen um Haaresbreite, verlor aber die Koalitionsverhandlungen, bei denen sie sich von den ausgebufften Strategen der ÖVP alle Schlüsselressorts abknöpfen ließ. Die hehren Wahlversprechen der Sozialdemokraten – sie wollten etwa die Studiengebühren abschaffen, den Eurofighter abbestellen und das Bildungssystem reformieren – torpedierte die ÖVP mit ihrem Veto, um dem Partner dann vorzuwerfen, seine Versprechen nicht zu halten. Mit einem Reformvorstoß nach dem anderen biss die SPÖ bei der ÖVP, die ja auch den Finanzminister stellt, auf Granit. Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) bekam bald den Ruf des „Umfallers“ und kämpft mit den historisch schlechtesten Umfragewerten eines Regierungschefs.

Die Vorwürfe hinsichtlich machiavellischer Winkelzüge der ÖVP-Innenminister gaben der SPÖ jetzt die Gelegenheit, für ein Jahr erlittener Demütigungen Rache zu üben. Der Untersuchungsausschuss, den sie mit der Opposition beschließen wird, verspricht monatelange Enthüllungen über kleinere und größere Fälle von Machtmissbrauch vor allem auf Seiten der ÖVP. Auch wenn die zutage geförderten Weisungen, Vertuschungen und Verschwörungen nicht strafrechtlich relevant sein sollten, kann man davon ausgehen, dass die ÖVP mit einem beschädigten Image aus dem Untersuchungsausschuss hervorgehen wird.

Jedenfalls wird das jetzt schon schlechte Koalitionsklima dann so unerträglich sein, dass wohl an Neuwahlen kein Weg vorbeiführt. Paradoxerweise könnten dabei beide Parteien verlieren – und sich dann mangels Alternative in derselben großen Koalition wiederfinden. RALF LEONHARD