: Oden an die Provinz
Vor Hamburg kommt erst einmal Delmenhorst – diese Pop-Rangfolge im Norden hat die Band Element of Crime mit ihrer gestern erschienen Single ein für allemal klargestellt. Und Sven Regener alias Herr Lehmann ist nicht der einzige, der das Lob der legendären Schlafstadt singt
von Lutz Steinbrück
Sage mir, wo du herkommst, und ich sage dir, wer du bist. Sven Regener kommt aus Bremen. Kein Grund zur Sorge, trotz aller finanziellen Nöte gilt die Stadt als lebenswert. Nachdem er als Autor seine Jugend im Roman „Neue Vahr Süd“ verewigt hat, erkor der Sänger von „Element of Crime“ nun eine eher unscheinbare Perle des Nordens für die künstlerische Verwertung aus: Delmenhorst. Seit gestern gibt’s die gleichnamige Single im Handel. Und der Song, der den auf der Maxi nachfolgenden Track Hamburg deutlich in den Schatten stellt, wird auch den Auftakt des neue Albums bilden. Das erscheint in drei Wochen. Titel: „Mittelpunkt der Welt“.
Sarah Connor, Tim Fischer, die Boy-Group Touché – was populäre Musiker angeht, überglänzt Delmenhorst längst das benachbarte Bremen. Doch die Hymnen auf ihre Stadt stimmen andere an. Reinhard Mey etwa und, wie gesagt, jetzt auch „Element of Crime“. Und dann gibt es noch König Klaas I. Dennoch ist es um den Ruf Delmenhorsts traditionell schlecht bestellt, spätestens seit man an der Delme in den 1980er-Jahren knapp hinter Frankfurt am Main die Silbermedaille der bundesweiten Kriminalitätsstatistik errang: Bundeswehrstandort, triste Stadt vor den Toren Bremens – viel mehr fiel den meisten Auswärtigen dazu nicht ein. In Fragen des regionalen Images kämpfte DEL in der Kreisliga um den Klassenerhalt. Die größten Konkurrenten: Bremerhaven, Vechta und Wilhelmshaven. Aber hören wir mal, was Herr Regener dazu sagt:
„Ich bin jetzt da, wo ich mich haben will / Und das ist immer Delmenhorst/ Erst wenn alles scheißegal ist / Macht das Leben wieder Spaß“,
dichtet er munter drauflos. Delmenhorst als anarchistisches Lebensgefühl: So verkommen und negativ besetzt, dass Mensch ganz frei und ungeniert vor sich hin leben darf. Ein schöner Zustand eigentlich.
Die Bremer Straße, die von Bremen nach Delmenhorst führt, wird hier zur „Straße der Verdammten“. Im Text verwoben mit einer gescheiterten Beziehungskiste, bildet sie den Fluchtpunkt, an dem die Ex nie ankommen wird:
„Es ist schön, wenn’s nicht mehr weh tut / Und wo zu sein, wo du nie warst.“
Der jugendliche Regener hat in den 1970er-Jahren häufig seine so genannte „Oma Horst“ an der Delme besucht, eine unscheinbare Kneipe, und knüpft im Song nahtlos ans bescheidene Image der Stadt an.
Vielleicht hat er damals an einem Sonntag im April dem Gastspiel Reinhard Meys gelauscht und ihn anschließend zum gemütlichen Umtrunk bei „Oma Horst“ eingeladen. Der prominente Kollege aus Berlin jedenfalls war, nach eigenem Bekenntnis, zu jener Zeit ebenfalls in Delmenhorst zu Gast und auf seine Weise angetan.
In der Fahrtenlied-Parodie „Wem Gott die rechte Gunst erweisen will“ (1977) besingt der Barde mit der Brille den bleibenden Eindruck, den das Intermezzo bei ihm hinterließ: Delmenhorst liefert den krönenden Abschluss dieses ironischen Lobliedes auf die Provinz. Höhepunkte wie
„Meine Güte war ich stramm, in Hamm / lallte nur noch müde ,Prost‘ in Soest“,
toppte die Stadt an der Delme im letzten Vers, wo Mey freimütig zugibt: „Am schönsten war’s, das sag ich offen an: in Delmenhorst“. Hätten wir diese vom Reimzwang befreiten Zeilen etwa der Gesellschaft und der Bar von „Oma Horst“ zu verdanken?
Wenn schon Reinhard Mey nix findet, was sich auf Delmenhorst reimt: Wer will da dem über die Stadtgrenzen hinaus unbekannte Schlagersänger Klaas König vorwerfen, dass ihm dies in seinem Lied „Delmenhorst“ ebenfalls misslingt? In Schlagermanier bricht der überzeugte Lokalmatador eine Lanze für das freiwillige Dasein an der Delme:
„Delmenhorst / eine Stadt so schön wie der Norden / hier sind wir geboren / hier sind wir zu Haus“,
lautet der originelle Refrain. Das Stück des Mannes, der einer blondierte Version von Volksmusik-Urgestein Achim Menzel („Achims Hitparade“) ähnelt, bildet sozusagen den ästhetischen Gegenentwurf zum Liebeslied von „Element of Crime“. Und dementsprechend endet es auch:
„Unsere Delme / der kleine Fluss / nun ist das Liedchen schon leider Schluss.“
Für Klaas König ist Delmenhorst tatsächlich der „Mittelpunkt der Welt“. Erklärtes Ziel des Songs: dass die Stadt bald die magische Grenze von 80.000 Einwohnern überschreitet. Da gibt es kein Imageproblem. Und keinen Grund mehr, vor irgendetwas zu fliehen. Im Gegenteil.
Von hier abhauen? Das können sich auch der „Dicke und der Dünne“ (beliebte Moderatoren der Morgenshow von Radio Bremen 4) nicht vorstellen, wenn man ihrer akustischen Würdigung glauben darf. Köln und Berlin würden sie demnach gerne den Rücken kehren. Aber Delmenhorst?
„Es gibt eine Stadt / ganz klein, da kann man glücklich sein / ja da will ich rein“,
bekennen sie im Chor – aber sie sind ja auch nicht dort aufgewachsen. Einen Reim auf Delmenhorst haben übrigens auch sie nicht gefunden. Wie wäre es mit „Foto Porst“? Aber das ist ja wiederum Schleichwerbung – und damit nicht förderlich für einen verbesserten Ruf.
Mehr über Klaas König unter www.klaas-koenig.de. Auszüge seines Delmenhorst-Hits finden sich auf: http://hoehereweltenblog.twoday.net/stories/879508 LP von Reinhard Mey: „Menschenjunges“ (1977), „Wem Gott die rechte Gunst erweisen will“, leider vergriffenElement of Crime: Single & Maxi-CD „Delmenhorst“ sind seit heute im Handel – im Vorgriff auf die LP „Mittelpunkt der Welt“ (erscheint am 4.10.)