Occupy-Bewegung in Berlin: Unsicherer Stand am Strand
Das Camp am Bundespressestrand ist gefährdet, die Stimmung deshalb im Keller. Die Behördenvertreter fahren eine seltsame Kommunikations-Strategie
Sie haben noch Hoffnung, doch juristisch sieht die Lage für das Occupy-Camp am Bundespressestrand alles andere als günstig aus. Deshalb luden die Aktivisten am Dienstagabend Ulrich Kerner ans Lagerfeuer im Versammlungszelt ein. Der Rechtsanwalt sollte ihnen ihre rechtliche Position gegenüber der Eigentümerin des Geländes, der Bundesimmobilienanstalt (BImA), noch einmal darlegen. Die ist vor allem eines: kaum absehbar. "Je länger ihr da seid, desto besser sind eure Aussichten, bleiben zu können", stellte Kerner fest.
Die BImA gibt nach wie vor keine Stellungnahme dazu ab, ob sie die Aktivisten bald räumen lassen will. Dennoch ist wahrscheinlich, dass die Anstalt in den kommenden zwei Wochen aktiv werden wird: Vertraglich muss sie das Gelände Mitte Dezember geräumt an das private Konsortium BMBF Betriebs-GmbH übergeben, das dort das neue Bundesbildungsministerium bauen will.
Vergangenen Freitag lotete ein Vertreter der BImA, Lutz Leide, die Stimmung unter den Campern aus. Mehrere Aktivisten berichteten, Leide habe angedeutet, dass sie vom Bundespressestrand in einen begrenzten Bereich im Haus der Statistik umziehen könnten, das auch der BImA gehört. Man müsse jedoch vorher die Sicherheitssituation vor Ort sichten. Anfang vergangener Woche hatten die Occupisten erfolgslos versucht, das leerstehende Gebäude am Alexanderplatz zu besetzen. Doch Leide betonte gegenüber der taz, man sehe keinen Anlass, die Sicherheit des Gebäudes zu prüfen. Aus Sicht der Aktivisten bedeutet das: Die BImA täuscht Gesprächsbereitschaft nur vor und spielt auf Zeit.
Deshalb fragten sie bei Anwalt Kerner alle rechtlichen Optionen für ihr bisheriges Gelände ab. Die meisten der 50 aktiven Occupisten wollen über den Winter weiter machen.
Wie die inhaltliche Arbeit am besten gesichert werden kann, darüber herrscht allerdings keine Einigkeit. Viele Camper wollen bleiben, doch manche zweifeln auch an Zweck und Notwendigkeit eines Camps, in dem es zudem keinen Strom, laufendes Wasser oder sanitäre Anlagen mehr gibt: "Wir müssen uns überlegen, wo wir hinwollen, ob wir uns nicht über den Winter verkleinern, thematisch aufbauen sollten", sagt Aktivist Marc. Sein Sitznachbar Erez Erol sieht ein Festhalten am Bundespressestrand um jeden Preis für problematisch: "So vergessen wir unser Ziel, die 99 Prozent da draußen zu erreichen."
Für das Bildungsministerium steht zwar noch kein Bebauungsplan oder eine Baugenehmigung. Dennoch will das prviate Konsortium, das für den Bund den Bau hochziehen soll, nach BImA-Angaben bald mit vorbereitenden Maßnahmen beginnen, weshalb die Camper weichen sollen. "Die BImA zieht sich aus der Verantwortung und tut so, als könne sie eine Räumung nicht vermeiden", sagt Carl Waßmuth von Attac-Berlin. Dass sich auf dem ehemaligen Bundespressestrand ausgerechnet ein öffentlich-privates Projekt und die Occupy-Bewegung gegenüberstehen, findet Waßmuth paradox: "Hier treffen die selbst ernannten 99 Prozent auf das eine Prozent, dessen Übermacht sie kritisieren - und werden vertrieben." Das sei das beste Beispiel dafür, dass öffentlich-private Partnerschaft für ein Demokratiedefizit sorge.
Für die Occupisten bedeutet die Konstruktion des privaten Konsortiums, das zum Teil aus Tochterfirmen besteht, dass sie keinen Ansprechpartner neben der BiMA haben, mit dem sie über eine Duldung sprechen könnten. Denn das Konsortium hat nicht einmal einen Web-Auftritt und die einzelnen Firmen äußern sich nicht zu Anfragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt