Manni beim Papst : Obszönes Purpur
Mit der Wahrnehmung, dachte Manni, verhielt es sich wie mit dem Igel in „Dat Wettlopen twischen den Haasen un den Swinegel op de lütje Haide bi Buxtehude“. Die Wahrnehmung war immer schon da, wo er auch hinkam. In Rom zum Beispiel. In der 90er-Jahre-berlinmäßig runtergerockten Galleria Doria Pamphilj, wo die Tizians und Caravaggios schief an den Wänden hingen und die Brueghels sich in den Rahmen bogen wie feuchte Pappe, wollte Manni sich noch einmal Francis Bacons aufregende Studie zu Papst Innozenz X. anschauen. Er musste dann aber feststellen, dass da im Zwielicht einer muffigen Umkleidekabine natürlich nicht Bacons Gemälde hing, sondern Velázquez’ Porträt des Popen. Das hatte Bacon als Vorlage gedient. Er hatte darauf die größten Stücke gehalten, weil es in ihm Gefühle und Fantasien triggerte, die ihm selbst unheimlich, weil unbekannt waren. Auch ein Beleg für die jungfernhafte Verschlossenheit der Wirklichkeit vor den Begehrlichkeiten des Subjekts, dachte Manni.
Seine inverse Transzendentalphilosophie würde er gern mal Hans Ulrich Gumbrecht auseinandersetzen, wenn er wieder zu Hause in Berlin wäre. Es war klar, dass es das obszöne Purpur von Cape, Mütze und Thron in Velázquez’ Gemälde waren, die Bacon ganz fickerig gemacht hatten. Plus natürlich der abgründige Blick des Pontifex, der seiner androgynen Schwägerin Olimpia Maidalchini („Die Päpstin“) vollkommen hörig war.
Bei der Papstaudienz neulich in der Sixtinischen Kapelle mit Terence Hill („Vier Fäuste für ein Halleluja“), Daniel Libeskind und den anderen Kirchenkünstlerfürsten waren Manni beim Anblick des makellos gebleichten Ratzi-Gewandes solche Genüsse leider verwehrt geblieben. Peter Stein aber hatte gesagt, was für ein erhebender Moment das gewesen sei: Eine Stunde lang habe er ungestört Michelangelos Fresken betrachten dürfen.
SASCHA JOSUWEIT