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Oberidiot oder Supergenie?

Aron Schmidhuber (46), Welt-Schiedsrichter 1992, darf nicht mehr zur Fußball-WM 1994 in die USA. Er wird zum Jahresende altersbedingt als FIFA-Referee ausgemustert  ■ Von Cornelia Heim

Berlin (taz) – „Für eine Mannschaft ist der Schiri immer der Idiot.“ Charly Körbel, Co-Trainer bei Eintracht Frankfurt und mit 602 Spielen Bundesliga-Rekordhalter, müßte es eigentlich wissen. Walter Jens, der Rhetorik-Professor aus Tübingen, sieht das ganz anders: „Der Schiedsrichter ist das eigentliche Genie auf dem Fußballplatz.“ Ja, was denn nun?

Aron Schmidhuber ist kein Freund großer Worte, keiner, der ein Fußballspiel mit einer Talkshow verwechselt: „Das Gerede bringt doch nichts.“ Eben, drei Dinge braucht der Mann: Gelbe Karte, rote Karte und eine Trillerpfeife. Sachlich, regelfest und topfit – dafür gewann erstmals ein deutscher Schiedsrichter eine Art Weltmeistertitel: Aron Schmidhuber ist der Welt-Schiedsrichter des Jahres 1992. Eine Jury unabhängiger Fußballexperten stellte ihm das Prädikat besonders wertvoll aus. Ist der Bayer nun der Oberidiot oder das Supergenie der schwarzen Zunft?

Ein Hüne von 1,90 Meter steht unter dem Türbogen eines Kaffeehauses in Würzburg. Wie es großen Männern oft eigen ist, zieht auch Schmidhuber unwillkürlich den Kopf ein. Dabei hat er gar keinen Grund, den Duckmäuser zu spielen. Er ist überpünktlich. Weil Zuverlässigkeit ganz selbstverständlich in seinen persönlichen Regel- Kodex gehört. Vor dem Spiel ist nach dem Spiel.

Er lacht, nicht anbiedernd, nicht eingefroren, nein, ein offenes Lachen. So lacht nur einer, der sich seiner Sache ganz sicher ist: „Kein Elfmeter, das war eine Schwalbe“, etwa, oder: „Klarer Fall von Notbremse – rot.“ Er hat es nicht nötig, mit jedem zu sprechen. Journalisten einschlägiger Männermagazine hat er schon die rote Karte gezeigt. Weil sie seinesgleichen nicht ernst nähmen, den Pfeifen-Mann zum Pantoffelhelden abstempelten. Und derlei Platitüden kann der Junggeselle, der Lebensgefährtin Irmgard allenfalls am Wochenende zu Hause in Ottobrunn bei München sieht, überhaupt nicht ab.

Der Mann, nach dessen Pfeife Samstag für Samstag 22 Spieler tanzten, ist Vollblutsportler. „Seit ich denken kann, gehe ich auf Fußballplätze.“ Schmidhuber bestellt Eier mit Speck – schließlich hat er gerade seinen täglichen Zehnkilometerlauf hinter sich – und ein Mineralwasser. „Ich tue immer nur das, was mir gut tut.“ Kein Alkohol, kein Nikotin, aber Sport in rauhen Mengen. Angst machte aus dem Libero einen Schiedsrichter. Die Angst davor, im Fernsehsessel Fett anzusetzen: 1973, als die Menisken nicht mehr mitspielten, mußte er die eigenen Kickstiefel an den Nagel hängen. Fußball ade? Leistungssport passé? Nichts da. Wer aus gut bayerischem Holz geschnitzt ist, gibt nicht so schnell klein bei. „Um nicht ganz zu versacken“, übte er mit 26 schon das Tremolo auf seiner italienischen Ballila Makro. Ein Mann mit Pfiff eben. Und Anpfiff einer nicht geplanten Bilderbuch-Karriere: Bundesliga-Schiedsrichter (einer von 34) mit 33 Lenzen, FIFA-Referee zwei Jahre später, WM-Schiedsrichter 1990 in Italien.

Ein eiserner Bursche ist er, per du mit der Disziplin. Schmidhuber sorgt nicht nur für Hygiene auf dem Spielfeld: Tagsüber vertreibt er als Klinikreferent Desinfektionsmittel in Krankenhäusern, kurvt zwischen Schweinfurt und Würzburg und fürchtet nichts mehr, als krank zu sein. Abends an seinem Zweitwohnsitz in Güntersleben bei Würzburg schuftet er für die eigene physische Fitneß, damit er in den Arenen der Fußballwelt immer auf Ballhöhe bleibt. „Nur wer durchtrainiert ist, hat die geistige Frische, eine Partie zu leiten.“ Hört sich eher nach harter Arbeit an als nach Genius.

Fast 150mal hat er das Spiel „Einer gegen den Rest des Stadions“ in der Bundesliga gespielt. Von Kindesbeinen an sei er ein Einzelkämpfer gewesen, sagt Aron Schmidhuber: „Ich brauche keinen, der mir sagt, wo es langgeht.“ Konsequenz ist seine Leidenschaft. Im Alltag wie in den Stadien. Seine Maxime: „Ein zu großzügig leitender Schiedsrichter hat mehr Probleme als einer, der durchgreift.“ Schmidhuber tranchiert sein Spiegelei. Ein Schiri kann's nicht jedem recht machen, steht oft in der Kritik. Seine Antwort: „Die meisten Leute kritisieren doch nur, statt selbst etwas in die Hand zu nehmen.“ An und für sich pfeift er auf die Presseschelte. Die Journaille hält er größtenteils schlicht für „inkompetent“. Die Arroganz eines Genies? Wer sich erdreiste, Schiedsrichter in seinen Blättern zu benoten, der sollte wenigstens das Einmaleins beherrschen. „Die Regel-Fibel“, sagt er trocken, „die gibt's beim DFB für 1,50 Mark.“ Das klingt wie: „Für Tätlichkeit gibt's rot.“

Schiedsrichter Schmidhuber ist sein eigener Richter: „Wer nicht selbstkritisch ist, macht sich vom Lob anderer abhängig.“ Er verläßt sich lieber auf sich selbst und sonst niemanden. Das ist seine Stärke. Ob 70.000 im Wembley-Stadion grölen oder 50 in Hintertupfingen – dem Bayern mit der stoischen Ruhe ist das wurscht. Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert 90 Minuten – egal, ob bei der WM oder in der Kreisliga, in der er an den freien Wochenenden auch noch pfeift: „Ich nehme jedes Spiel so ernst wie ein Endspiel.“

Der Mann hat etwas von der Ehrenhaftigkeit der alten Schule. Er sitzt auf dem Kaffeehaus-Stühlchen, die langen Beine lässig übereinander geschlagen, sagt nur das Nötigste. Aber das sitzt. Er sei Realist, und die wüßten schließlich immer, auf was sie sich einließen: „Im Grunde ist es so simpel. Man geht hinaus, weiß, daß jeder gegen einen ist, konzentriert sich und pfeift.“ Klingt wirklich genial einfach.

Kurz und präzise antwortet der Mann mit den stets wachen Augen: Was einen guten Schiedsrichter auszeichne? „Die Menschenkenntnis.“

– Ob er eine Strichliste der Schwalben-Könige führe? „Nein, jedes Spiel fängt bei null an.“

Daß er seine Spiele anständig pfeift, ist Ehrensache: „Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig.“

Hypothetischen Fragen weicht er aus. Die Antworten stehen in keinem Regelbuch: „Ich beschäftige mich nur mit dem Machbaren.“ So sei es „müßig“ zu hadern, daß ihn die FIFA zum Jahresende ausmustert, und auch der DFB ihn in einem Jährchen des Platzes verweisen wird. „Regel ist Regel.“ Wer 46 ist, bekommt international die rote Karte. Abpfiff. „Irgendwann muß einmal Schluß sein.“ Pragmatisch, praktisch, gut.

Er tupft sich mit der Serviette den Mund ab. „Ich bin bestens vorbereitet auf die Zeit danach.“ Sagt's, und es klingt, als ob er sich tapfer zureden müßte, daß das sportliche Rentendasein auch Vorzüge birgt. Ferien? Ein Novum für Schmidhuber, der bisher den ganzen Jahresurlaub in sein Hobby investiert hat – für 2.500 Mark pro Bundesliga-Partie. Aber die gibt's auch erst seit letztem Jahr.

Doch einer wie er hätte auch ohne Entgelt gepfiffen. Idiot? Genie? Kommt ganz darauf an, ob die eigene Mannschaft gewonnen hat – oder der Gegner.

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