Obamas neue Afghanistan-Strategie: Erst aufrüsten, dann abziehen
Bis zu 35.000 weitere Soldaten will Obama an den Hindukusch schicken. Auch die Verbündeten sollen aufrüsten. Damit will der US-Präsident den militärischen Erfolg erzwingen.
WASHINGTON taz | Noch vor seiner großen Rede zur Afghanistan-Strategie am Dienstag hat US-Präsident Barack Obama Order für seinen neuen Plan gegeben. Das gab das Weiße Haus am Vorabend der lang erwarteten Ansprache in der Militärakademie West Point bekannt. Bis zu 35.000 zusätzliche Soldaten sollen an den Hindukusch, wie US-Medien Regierungsmitarbeiter zitieren.
Damit wären dann mehr als 100.000 US-Soldaten am Hindukusch im Einsatz. Die jährlichen Kosten stiegen auf 75 Milliarden Dollar. Obamas Taktik dabei ist, mit massiver Aufrüstung den Abzug vorbereiten. Auch die Alliierten sollen sich dafür stärker engagieren. Die ersten zusätzlichen Truppen will Obama bereits vor Weihnachten schicken.
Obama habe einen Großteil des Montags damit verbracht, seine Verbündeten in Afghanistan – darunter Großbritannien und Frankreich – sowie Russland telefonisch in seine neuen Pläne einzuweihen, schreibt die New York Times. Am Dienstag sollte dann der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, nach Brüssel reisen, um die NATO und die europäischen Alliierten zu informieren. Dann wolle Obama auch Bundeskanzlerin Angela Merkel anrufen.
Im Kampf gegen die Taliban in Afghanistan will der US-Präsident demnach fast so viele Soldaten zusätzlich dorthin schicken, wie sein Kommandeur vor Ort, General Stanley McChrystal, angefordert hat. Nach Berichten von US-Medien haben einige Verbündete bereits zugesagt, ebenfalls ihre Kontingente zu verstärken – und zwar um 5000 Soldaten.
Obama will nach Berichten des Wall Street Journal die neue Truppenstärke nutzen, um in ihrem Schutz die afghanischen Sicherheitskräfte massiv aufzurüsten und schnellstmöglich in die Lage zu versetzen, das Land ohne fremde Hilfe in den Griff zu bekommen. "Wir müssen sicher stellen, dass die afghanische Bevölkerung nicht nur für die nächsten sechs Monate abgesichert ist, sondern für den Rest ihres Lebens", sagte ein Regierungsmitarbeiter der Zeitung.
"Das heißt nicht, dass wir selber dort die ganze Zeit vor Ort sein werden, um in den nächsten 20 Jahren die Bösewichte zu bekämpfen." Im Gegenteil, erklärte Obamas Sprecher Robin Gibbs: "Wir werden den Präsidenten sagen hören, dass dies keine Angelegenheit mit einem offenen Ende ist." Zu einer klaren Deadline für den Krieg werde sich Obama dennoch nicht hinreißen lassen, berichteten US-Medien. Er werde jedoch einen Zeitplan vorgeben, um diese Ziele zu erreichen.
Die US-Soldaten sollen nach Informationen von Mitarbeitern des Weißen Hauses künftig enger als bisher mit einheimischen Sicherheitskräften zusammen arbeiten. Obama werde ultimative Forderungen an die Regierungen in Pakistan und Afghanistan zur Zusammenarbeit richten. An Kabul werde er klare Maßgaben mit Blick auf die Korruptions-Bekämpfung geben. Diese umfassten auch die Einrichtung von Anti-Korruptions-Tribunalen.
Nach Angaben des US-Nachrichtensenders CNN hat Obama Verteidigungsminister Robert Gates bereits hohe Militärs angewiesen, die neue Strategie umzusetzen. Am Sonntag hatte er zunächst zahlreiche hochrangige Miltärs und Regierungsvertreter, darunter Vizepräsident Joe Biden und Außenministerin Hillary Clinton im Oval Office über sein Vorgehen informiert.
Obama und der britische Premierminister Gordon Brown vereinbarten laut Downing Street eine größere Lastenverteilung der NATO-Partner in Afghanistan. Das teilte die britische Regierung nach einer Videokonferenz zwischen Obama und Brown am Montagabend mit. London sagte die Entsendung von 500 weiteren Soldaten zu.
Noch in dieser Woche soll US-Außenministerin Hillary Clinton nach Brüssel reisen, um mit der NATO über die Umverteilung der Afghanistan-Lasten zu sprechen. Nach Informationen des Wall Street Journal wollte der US-Präsident noch vor seiner Ansprache vor den Kadetten in West Point auch bei Kanzlerin Merkel die Frage nach mehr Engagement erörtern. Deutschland hat derzeit 4500 Soldaten am Hindukusch stationiert.
Eine Entscheidung über eine Aufstockung liegt bisher nicht vor. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg will die internationale Afghanistan-Konferenz Ende Januar abwarten. Obama wollte sich im Laufe des Dienstags auch mit rund 30 Mitgliedern des US-Kongresses treffen. Dort muss er seine Entscheidung gut verkaufen.
Denn selbst in den Reihen der Demokraten hat der Präsident viele Gegner für den Plan der Truppenaufstockung. Sie fürchten vor allem, dass die Kosten des bereits acht Jahre währenden Einsatzes dem Staat über den Kopf wachsen könnte. "Wir verstehen Afghanistan nicht gut genug und wir wissen nicht recht, was wir dort tun", warnte der kalifornische Abgeordnete Mike Honda von den Demokraten. "Wir können diesen Krieg nicht gewinnen."
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