Obamas Rede zur Lage der Nation: @Wähler: Glaubt mir!
Über eine Stunde dauerte Barack Obamas Rede zur Lage der Nation. 140 Zeichen auf Twitter wirken dagegen marginal. Aber der Präsident zwitschert geschickt.
Es war Barack Obamas zweite Rede zur Lage der Nation. Der US-Präsident hielt sie nach den verlorengegangen Kongresswahlen, nach dem Arizona-Attentat und in einer Zeit, in der Amerika seinen Platz als Weltmacht Nummer eins verteidigen muss. Und möglichst viele sollten sich vor den Fernsehern versammeln, um Obama zuzuhören. Das tun die Amerikaner traditionell bei der "State of the Union"-Rede (SOTU), aber Obama ging auf Nummer sicher, wie seine Tweets der vergangenen Tage zeigen.
"Macht Pläne, um am Dienstag an einer State of the Union Party teilzunehmen, http://OFA.BO/gRVzDs"
"Bekomme einen Vorab-Einblick darüber, um was ich den Kongress am Dienstag bitten werden: http://OFA.BO/m1Qc7h"
Nicht nur Obama twittert, was das Zeug hält. Auch das Weiße Haus und die Demokratische Partei haben einen Account bei dem Kurznachrichtendienst – und bewarben die Ansprache des Präsidenten gleichermaßen intensiv.
"Dienstag um 9PM EST: State of the Union. Schau, wie du dich beteiligen kannst: http://wh.gov/sotu"
Indes waren diese Tweets nichts als bloßes Vorgeplänkel zu dem, was am Dienstagabend kommen sollte. Während der Rede verfasste Obama mehr als 30 Tweets mit Auszügen aus seiner Rede, das Weiße Haus kam auf mehr als 50.
"Heute fordere ich euch heraus, mich in einem neuen Ziel zu unterstützen: bis 2035 wird 80 Prozent der amerikanischen Elektrizität von sauberen Energiequellen stammen #SOTU"
"Im Juli werden wir anfangen, unsere Truppen aus Afghanistan nach Hause zu holen #SOTU"
Obamas Team nutzt Twitter geschickt, um die Kernbotschaften der Rede über das Web zu verbreiten. Und die Gefolgschaft ist groß. Knapp 6,5 Millionen Menschen folgen Obama auf Twitter, mehr als 1,9 Millionen dem Weißen Haus und immerhin noch knapp 30.000 der demokratischen Partei. "Wir wollen dieses Werkzeug effektiv nutzen", sagte Macon Phillips, der in Obamas Stab über die Neuen Medien wacht, dem Time Magazine.
"Bevor wir unseren Schulen Geld wegnehmen oder unseren Studenten Stipendien, sollten wir Millionäre bitten, ihre Steuererleichterungen aufzugeben."
Doch die Tweets über Obamas Ansprache dienten nicht nur dem Zweck, klare politische Ziele zu formulieren. Sie hatten ebenso eindeutig Wohlfühlcharakter. Das Image des Präsidenten soll auch über diesen Weg gepflegt werden.
"Lasst uns heute Abend mit einer Stimme sprechen, um zu bestätigen, dass unsere Nation vereint ist in der Unterstützung unserer Truppen und ihrer Familien #SOTU"
"Was wir können – was Amerika besser als jeder andere kann – ist die Kreativität und Vorstellungskraft unserer Bürger zu entfachen #SOTU"
Obama bewegt sich bei Twitter streng strategisch, so, wie es die US-Präsidenten im Umgang mit den Medien traditionell schon immer gehalten haben.
"Ich möchte mit den Bürgern Amerikas ein paar Minuten über das Bankwesen sprechen"
So begann eine Radioansprache von Franklin Delano Roosevelt am 12. März 1933. Der US-Präsident nutzte das Radio, um den Menschen die Mechanismen der Großen Depression zu erklären und für seinen New Deal zu werben. Die "fireside chats" (Kamingespräche) gingen in die Geschichte der USA ein. Das Image, das kreiert wurde, war das eines Präsidenten, der sich am Sonntagabend an den Kamin setzt und in direkten Kontakt zu seinen Bürgern tritt.
Und die Antworten der Bürger, sie kamen. Nicht innerhalb von Sekunden, aber innerhalb weniger Tage in Form von Tausenden Briefen. Fast 90 Jahre und die Entwicklung des Web 2.0 später kommt die Antwort schnell wie ein Wimpernschlag.
"@BarackObama @TheDemocrats haben während der ganzen SOTU getwittert. Brillant. Danke, Präsident Obama!"
"@BarackObama @TheDemocrats Ich finde, es war die beste Rede seit langem. Sie hat so viele verschiedene Bereiche angesprochen"
"@thedemocrats @barackobama ich hoffe auf euer Scheitern! Startet den Countdown. Zwei Jahre noch bis ihr draußen seid!"
Twitter ist nicht das einzige multimediale Element, das Obamas PR-Strategen zur Unterstützung der Rede nutzten. Auf der Seite des Weißen Hauses wurde die Rede live übertragen und mit Grafiken und Bildern angereichert. Direkt nach der Rede stellten sich vier Mitarbeiter des Weißen Hauses den Fragen der Bürger, die über Twitter, Facebook oder die Homepage direkt Kontakt aufnehmen konnten.
Das alles ist das Werk von Phillips, der von Obama direkt nach seiner Amtseinführung benannt wurde. Der 32-Jährige hat dafür gesorgt, dass sich die traditionellen "fireside chats" als "fireside chats 2.0" in der Präsidentschaft Barack Obamas wiederfinden. Die direkte Wähleransprache über das Netz scheint erfolgversprechend. Eine Studie von Pew Internet - einem Projekt des unabhängigen "Pew Research Center" - zeigt, dass fast jeder Fünfte Internetnutzer (19 Prozent) in den USA schon einmal politisches Material publiziert hat oder soziale Netzwerke nutzt, um sich politisch oder gesellschaftlich zu engagieren. Phillips selbst sieht sich und sein Team als verbindendes Element zwischen der Regierung und den Wählern, wie er der Chicago Tribune einmal sagte.
Und so war das Ende von Obamas Rede natürlich nicht das Ende im Netz. Über den Twitter-Account der demokratischen Partei wurden sogleich Reaktionen und Blitzumfragen verbreitet. Die multimediale PR-Maschinerie muss weitergehen.
"RT @PoliticalTicker: CNN Umfrage: Mehr als die Hälfte der Zuschauer haben sehr positiv reagiert – http://bit.ly/dJ8Ir4"
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