ORTSTERMIN: ZWERG IM BERG : Herr Gysi in der Asse
Gregor Gysi ist Rechtsanwalt und ausgebildeter Rinderzüchter. Er war Frauensenator in Berlin, Partei- und Fraktionsvorsitzender. Gysi kann Trecker fahren, und er gilt als Experte für Ökonomie, die Belange des Ostens und das große Ganze.
Als Fachmann für Atomkraft und die Entsorgung radioaktiver Abfälle trat Gysi trotz seiner Teilnahme an der einen oder anderen Castor-Demo in Gorleben eher wenig in Erscheinung – bislang: Bei seinem gestrigen Besuch im maroden Atomlager Asse zeigte sich der Linken-Frontmann durchaus kenntnisreich.
„Es war ein hochinteressanter Besuch“, sagt er, nachdem ihn am Nachmittag der Förderkorb aus den Tiefen des Bergwerks wieder ans Tageslicht gebracht hat. Begleitet von einigen Parteifreunden, hatte sich Gysi zwei Stunden lang im Grubenfahrzeug durch das unterirdische Labyrinth fahren lassen.
Die Reisegruppe besichtigte eine der Stellen, an denen seit Jahrzehnten Wasser in das Bergwerk läuft, und machte Halt in der Nähe der Einlagerungskammer 7, die als erste seit Anfang Juni probehalber angebohrt wird. „Die Fässer sind damals einfach abgestürzt und wohl schon beim Aufprall beschädigt worden“, erfuhr Gysi.
Weil ein Brei aus Atommüll, Salz und korrodierten Fassresten irgendwann ins Grundwasser sickern kann, die Langzeitsicherheit bei einem Verbleib der Fässer unter Tage mithin nicht gewährleistet ist, müssen die Abfälle aus der Asse herausgeholt werden – dazu gibt es Gysi zufolge keine Alternative.
Der Schutz von Menschen und Umwelt müsse bei der Sanierung des maroden Bergwerks absoluten Vorrang haben. „Wenn wir sie aber schützen wollen, müssen wir den Müll so schnell wie möglich bergen. Und wenn wir bergen wollen, müssen wir dafür so schnell wie möglich die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen“ – so Gysis Logik.
Gegenwärtig blockierten rechtliche Vorschriften die für die Rückholung der rund 126.000 in den Jahren 1967 bis 1978 eingelagerten Fässer notwendigen Maßnahmen – wie die Errichtung eines weiteren Schachtes oder eines Zwischenlagers.
„Wir brauchen jetzt ein Gesetz, das sämtliche Verfahren in der Asse vereinfacht“, so Gysi. Die Schritte müssten parallel und nicht nacheinander gegangen werden, der aufwändige Schachtbau bereits jetzt beginnen, und die wissenschaftlichen Fehler von damals aufgearbeitet werden. REIMAR PAUL