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Archiv-Artikel

ORTSTERMIN: WIKINGERTAGE IN SCHLESWIG „Nenn’ mich Leofric“

„Viele haben sich schon über uns lustig gemacht, aber für uns ist das Sport“

REENACTMENT-FECHTER LEOFRIC

Der Wikinger hat keine Lust auf ein Interview. „Nö“, sagt der bärtige Mann mit dem Helm. Er trägt ein Gambeson, eine Lamellenrüstung, Armschienen und Handschuhe; in seiner Schwertscheide steckt eine Waffe aus Stahl. „Viele haben sich schon über uns lustig gemacht“, sagt er. „Sie haben behauptet, wir würden vorm Alltag fliehen und uns deswegen verkleiden. Aber das stimmt nicht.“ Wie er heißt? „Nenn’ mich Leofric.“

Leofric ist seit sechs Jahren Reenactment-Fechter, er und die anderen Wikinger hier sind Mitglieder eines Vereins aus Köln und können gebucht werden – in diesem Fall für die Wikingertage in Schleswig. Sie kämpfen mit stumpfen Repliken aus der Wikingerzeit gegeneinander, stellen für die Zuschauer in einer Arena historische Schlachten nach. „Für uns ist das ein Sport“, sagt Leofric.

Es gießt in Strömen an diesem Sonntagmittag, das Wikingerdorf auf der Königswiese in Schleswig ist überschwemmt, der Boden matschig. Die beiden Eisverkäuferinnen gucken etwas bedröppelt. In eine der großen Pfützen hat jemand kleine Holzschiffe gelegt und davor eine Schale gestellt, in die Besucher Münzen werfen können – „zur Vergrößerung unserer Flotte“, steht auf einem Schild.

20.000 Besucher sind am Wochenende zu den Wikingertagen gekommen, und für die vielen Kinder ist es ein großer Spaß. Sie lassen sich mit den Bärtigen fotografieren, von ihnen auf die Schultern heben und schreien „Heya!“. Ein blonder Junge versucht, einen der runden Schilde, der genauso groß ist wie er, hochzuheben – und scheitert.

„Jan und Hein und Klaas und Pitt, die haben Bärte, die haben Bärte“, singt die Band Santiano, und wirklich gibt es nicht oft so viele Menschen mit so langen Bärten auf so engem Raum. Die Königswiese ist übersät mit weißen Zelten, überall dampft und kocht es und riecht verbrannt. Es gibt Waffenschmieden, Trinkhornschleifereien und Lehmofen-Bäckereien. Nur Details verraten, dass die Zeit der Wikinger tausend Jahre her ist: So hat einer ein Pflaster auf dem Finger, weil er sich bei einem der Schaukämpfe verletzt hat.

Die Besucher laufen mit Stockbrot, geräucherten Wildknackern oder mit Wikingerbräu aus der Braumanufaktur umher; die meisten zieht es zur Arena, die am Ende des Dorfes steht. Dort hauen sich die Reenactment-Fechter nicht nur mehrmals am Tag mit stumpfen Klingen auf die Köpfe, sondern balancieren auch Fackeln auf ihrer Nasenspitze oder zeigen den Zuschauern Greifvögel und Wolfshunde, und im Hintergrund fließt die Schlei.

Ein Gaukler führt verschiedene Kunststücke vor, will mit Fackeln jonglieren und holt ein Feuerzeug hervor. Sofort brüllt jemand aus dem Publikum: „Ja, ja, mit ’nem Feuerzeug!“ Der Gaukler antwortet: „Ich weiß, die gab’s im Mittelalter noch nicht, aber die Klugscheißerei gibt’s schon seit der Steinzeit!“ Das Publikum lacht, ein Kind kriegt sich kaum noch ein. Der Gaukler daraufhin: „Du hast zuhause nicht viel zu lachen, wa?“ Humor scheinen sie zu haben, die Wikinger.  AMADEUS ULRICH