ORTSTERMIN: OLE VON BEUST UND KLAUS VON DOHNANYI IM THALIA-THEATER : Zustimmung: 100 Prozent
Unbesetzte Ränge im Hamburger Thalia Theater, auch in den hinteren Reihen des Parketts gähnt die Montagmorgenleere. „Ich habe ein total schlechtes Gefühl für die Volksabstimmung. Irgendwie erreicht man die Leute mit der Schulreform nicht“, flüstert eine Dame ihrer Nachbarin zu. Zwei Reihen vor ihr sitzt eine junge Frau. Neben ihr schaukelt jemand im Tragesitz, den die Reform persönlich betreffen könnte. Ein rot-weißes Hamburg-Tuch um den Hals, nuckelt das Baby zufrieden am rot-weißen Schnuller, als der Gong zum zweiten Mal ertönt.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust sowie Altbürgermeister und Bundesminister a.D. Klaus von Dohnanyi ins Thalia-Theater eingeladen, um über die Schulreform zu informieren. Der Termin sollte nicht nur öffentlich sein, sondern auch öffentlichkeitswirksam: Am 18. Juli werden Hamburgs BürgerInnen darüber abstimmen, ob die sechsjährige Primarschule die Grundschule ablöst oder nicht. So will es die schwarz-grüne Landesregierung, so wollen es zahlreiche Eltern, Lehrer und Schüler. Einigkeit auf ganzer Linie, wäre da nicht die Initiative „Wir wollen lernen“. Diese versucht die Schulreform zu verhindern und hatte den Volksentscheid mit mehr als 184.000 Unterschriften erzwungen.
Genug Stoff also für ein konfliktreiches Drama. Die Inszenierung, mit der der Paritätische Wohlfahrtsverband im Thalia gastiert, geht aber einen eigenen Weg: kein Vorhang, kein Bühnenbild, kein Antagonist, kein Konflikt. Die einzige Reformgegnerin steht draußen vor dem Theater im Nieselregen und verteilt Thesenpapiere über die „10 Märchen zu der Hamburger Primarschulreform“.
Drinnen auf der Bühne hat man zwei schwarze Katheter aufgebaut. Dort werden beide Protagonisten für die Primarschule plädieren. Vielversprechend, hatte man die Hauptrollen aus zwei politischen Lagern besetzt. Aber zwischen Ole von Beust (CDU) und Klaus von Dohnanyi (SPD) herrscht parteiübergreifende Harmonie. Die beiden spielen ein Propagandastück unter Verzicht jeglicher dramatischer Komponenten.
Ungerecht, unökonomisch und hinter dem europäischen Standard zurück sei eine vierjährige Grundschulzeit. Beust selbst hat die frühe Auslese zu spüren bekommen: Wäre er nicht der Sohn des Bezirksamtsleiters gewesen, hätte er es nicht aufs Gymnasium geschafft. Auch Dohnanyi erzählt von seiner Grundschulzeit in den 30ern. Auch damals hätte es Bedenken gegen sechs Jahre Grundschule gegeben. Reaktionen aus dem Publikum gibt es keine.
Weil keine Reformgegner in diesem Theater sind, übernimmt Moderatorin Sabine Reinhold deren Part und konfrontiert Beust und Dohnanyi mit der Kritik. Der kleine Hamburger im Tragesitz quäkt zum ersten Mal.
Beust und Dohnanyi sind sich weiterhin einig und nun liefert auch das Publikum persönliche Argumente pro Primarschule. Dohnanyi sagt: „Wir müssen den Menschen klar machen, wie wichtig diese Reform ist.“ Das aber hört die junge Frau mit dem Baby im Tragesitz schon nicht mehr. Sie hat den Raum verlassen, bevor der Vorhang fiel. VERONIKA WAWATSCHEK