ORTSTERMIN: NORDDEUTSCHE MATSCH-MEISTERSCHAFT : Spiel, Schmutz und Sieg
Sie sind blond, sie sind neun Jahre alt, sie sind dreckig, und sie sind genervt. Die drei Mädels, nennen wir sie Leonie, Annemarie und Rebecca, sitzen am Spielfeldrand und essen Würstchen. Eben haben ihre Mütter ihnen mal wieder erklärt, dass es nur ums Mitmachen gehe und nicht um den Sieg oder die 7.500 Euro, die es zu gewinnen gibt – nein, allein um den Spaß, um Fairness und um Toleranz, und dass sie doch bitte nun die konkurrierenden Mannschaften auch anfeuern sollten. Ja, auch die anderen, wir sind alle Sieger.
„Ich feuer’ die nicht an, sonst gewinnen die noch“, grummelt die eine, Leonie, hinter ihrem Würstchen hervor. „Ich hab solchen Bock, nach Köln zu fahren“, jammert die zweite, Annemarie, der vor lauter Gram schon der Appetit vergangen ist. Und die dritte, Rebecca, schaut besonders missmutig drein. „Woll’n wir mal die Daumen drücken, dass die ausrutschen“, sagt sie.
So spaßig die Veranstaltung klingt: Die Teilnehmer nehmen sie durchaus ernst, die erste „Norddeutsche Matsch-Meisterschaft“ der Grundschul-Klassen, die heute auf dem Kinderhof in Kirchdorf statt findet. Inmitten von Ziegen, Enten und Miniatur-Bauernhöfen wurde ein Schlammfeld angelegt, und das Schönste dabei: Der Schlamm ist wirklich Schlamm, nicht nur ein schmieriger Untergrund, sondern mitunter knöcheltiefes Nass. Acht Teams treten gegeneinander an, um unter sich den Finalisten auszumachen, der dann im Oktober nach Köln fahren darf. Dort wird er sich mit drei anderen Mannschaften aus dem Westen, Osten und Süden Deutschlands messen.
Die Disziplinen sind wohl gewählt: Unter anderem stehen Fußball, Tauziehen und Sackhüpfen auf dem Programm – Sportarten, bei denen man gerne mal hinfällt. Und weil Dreck nur am Anfang unangenehm ist und dann aber rasch auch Freude macht, rammen die Kleinen schon bald mit Muße ihre Füße in den Matsch. Sie schlittern, kreischen und spritzen, zuweilen rüpeln und schubsen sie aber auch. Kein Zweifel, es geht um was, und wenn’s schon nicht der Sieg sein darf, dann wenigstens um die Ehre.
Warum sich all dies nun unbedingt im Schlamm abspielen muss, dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen. Die unromantische Antwort: Der Veranstalter ist eine Pflege-Marke und mit gleich mehreren Maskottchen rund ums Spielfeld vertreten, arme Studenten in zu warmen Duschgel-Kostümen, die übers Feld wackeln, Kinderköpfe tätscheln – und Kunden generieren.
Es gibt aber vielleicht noch einen tieferen Sinn: Nach der letzten Disziplin schart sich eine Meute kleiner Athleten um den Juror der Veranstaltung, Ex-Fußball-Profi Sergej Barbarez. Betrugsvorwürfe werden laut. Die in den blauen Trikots behaupten, die in den schwarzen Trikots hätten kürzere Strecken zu laufen gehabt. Und für Barbarez wird’s schwer. Der Grund: Wer blau war oder wer schwarz, das ist nun nicht mehr so leicht zu klären. Dicke Schlammkrusten haben alle Unterschiede nivelliert, die Gegner sind im Schmutz vereint. Und so ging es, letztlich, vielleicht doch um Größeres. CARINA BRAUN