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OP auf offener Bühne

■ The Wooster Group spielt „Fish-Story“

Gekachelt wie der Fußboden einer Ausnüchterungsstation oder einer Küche ist die von Neonröhren beleuchtete Bühne im Theater auf dem Theater der New Yorker Wooster Group in der Kampnagel Halle 6. Kirschzweige sprießen aus drei Stehlampen, die ebenso wie ein mit Fell überworfener Stuhl auf Rollen, Paravents und Tische je nach Versuchsanordnung der Fish Story bewegt und verrückt werden. Unbewegt bleiben nur die beiden Monitore auf der Vorderbühne und der Monitor im Hintergrund. Rund um dieses Experimentierfeld nutzen die Woosters Mischpulte und Mikros, um wie Chirurgen oder Puppenspieler die Fäden zu ziehen und das Geschehen auf der Bühne zu gestalten. Fish Story ist ein Stück aus dem Theaterleben in acht Tänzen frei nachgeschöpft nach Anton Tschechovs Drei Schwestern. Die zehn Schauspielerinnen und Schauspieler versetzt die Regisseurin Elizabeth LeCompte in eine Art Laboratorium, in dem sie Bewegende und Bewegte zugleich sind und den psychischen Stillstand der drei Schwestern multimedial illustrieren.

Um Tschechovsche Kernsätze – übrigens ins Englische übersetzt von Paul Schmidt, Autor der Wilsonschen Alice im Thalia-Theater – wie „all this suffering, it won't be a mystery anymore“ drappiert sich das allerletzte Bild des Dramas über Erinnerungen, die schöner als das Leben sind und alle Hoffnung im Keim ersticken. Diese Schwere treiben die Woosters nun dem Stück nicht aus, sie verkanten sie, sie tanzen, als ob sie chargierten und lassen das Bühnengeschehen auf die Bildschirme überspringen: „Time for another cup of coffee“, sagt eine, hält die Tasse unter dem real-existierenden Samowar, doch die braune Brühe plätschert virtuell über den Bildschirm ins Tässchen, das an den Mund geführt wird, aber keinen Durst mehr vertreibt. „It's time to say good-bye for ever now. We don't remember how it used to be“, schmettern sie zu einer melancholischen Folklore-Kolportage von Evan Lurie, sie, die nicht mehr erinnern, wie man ein Jackett trägt, das ihnen nur noch irgendwie um die Hüften hängt. In der Meta-Konversation über das Theater kommentiert eine Stimme die Darstellerin Beatrice Roth: Sie sei eigentlich ein Gitarrenspieler, der Jahre des Trainings darauf verwendet habe, um eine alte Frau spielen zu können. Die Operation Tschechovs auf offener Bühne gelang, in Woosters Händen überlebte der Patient Theater quietschfidel. jkn

Fish-Story, noch heute abend, Kampnagel-Halle 6

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