: ONANIESCHULE
■ Die „Märchenwelt“ der Steiff-Tiere im KaDeWe
Stumm ertragen sie ihr Rubbel-Los, von 50 Hertz angestoßen, täglich ab neun Uhr bis Ladenschluß. Sie wedeln, lecken, schütteln, reiben, schubbern, daß das Fell blank wird und dünn. Ihr Hospitalismus ist programmiert, ihre Motorik eingeschränkt, ihr Tempo das Tempo stoischer Onanie. Steiff versehen sie ihren Dienst am Menschen, ruhelos und unproduktiv: Herstellung dauerhafter Weihnachtsgefühle, auch im Hochsommer. Das Huhn brütet sich, mit dem Hinterteil im Kreis schleifend, an den Rand des Wahnsinns. Das Eichhorn umklammert den Zapfen, auf und ab. Enten torkeln in Reihe, die Krähe nickt sich in Trance. Die Vorderläufe der sieben Geißlein drehen im Leerlauf durch. Unter dem strengen, bewegungslosen Regiment des Stiefelkaters zwirbelt ein Kaninchen manisch am Kohlkopf, zutschen Ferkel vergeblich an ihrer Sau. Über allem dreht sich Rauch wie Zuckerwatte aus dem Schornstein eines baufälligen Lebkuchenhauses. An die hundert Kuscheltiere vegetieren, gesperrt in die echthaarfreie Märchenwelt hinterm kniehohen Jägerzaun, direkt an der Rolltreppe im dritten Stock des KaDeWe.
Zehn mal zwei Meter Plüsch-Diorama der Firma Steiff. Nur Hänsel, Gretel, Hexe und Rotkäppchen haben keinen Knopf im Ohr. Ohne Fell bleibt ihnen nur die Rolle nickender Statisten mit debil offenstehenden Mündern und Schaufensterblick. 40 Elektromotoren beleben leise summend über Ketten, Gestänge und Gelenke das Hin und Her im Kunstzoo. Lediglich der holzhackende Hase quietscht zu Recht. Geisterbahn-Monotonie. Täuschend lebensechte Animation wie etwa im Phantasia-Land oder Heide-Park ist nicht beabsichtigt. Sie könnte die Natürlichkeit der Steiff-Tiere stören, befürchtet der Pressesprecher der Margarete Steiff GmbH in 7928 Giengen an der Brenz. Womöglich ängstigt ihn die Vorstellung, daß die Berge toter Bettgenossen in den Regalen nebenan, von jungen Kunden quetschend geprüft, abfällig zurückgestoßen werden könnten. Nicht nötig. Denn fasziniert sind sowieso eher die Erwachsenen mit der Spiegelreflex von der Reise in die Kindheit. Die Kleinen sind schon verdorben durch He-Man, Barbie, Videospiele. Ihnen fehlen Horror und schnelle Schnitte. Software statt weicher Ware.
Trotzdem schicken die Steiffs ihre Rüttelmärchen auch im Zeitalter katzenfressender Alfs weiter alljährlich von der Nürnberger Messe aus auf Tournee durch die Kaufpaläste. Teddy auf Urwaldexpedition, Kirmes, Weltraum, Handwerkszünfte. Die Welt wackelt im Gleichmaß. Ein Stück Deutschland für die Alten, Onanieschule für die Kleinen.
kotte
Schaustück „Märchenwelt“ in der Spielzeugabteilung des KaDeWe noch bis zum 15.Juli.
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