OFF-KINO : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Der beste Spielfilm über die Verantwortung des Künstlers im Dritten Reich ist und bleibt István Szabós „Mephisto“, die Verfilmung von Klaus Manns Schlüsselroman, in dem der Schauspieler und Regisseur Hendrik Höffgen recht unverhüllt die Züge von Manns ehemaligem Schwager Gustaf Gründgens trägt. Der war in seiner Funktion als Intendant des Preußischen Staatstheaters einerseits ein Aushängeschild der Nazikultur gewesen, andererseits hatte er erwiesenermaßen bedrohten Kollegen geholfen – ein ausgesprochener Drahtseilakt. Zumal der Höffgen/Gründgens im Film auch noch ein überaus eitler Schauspieler ist, der, von seinem eigenen Genie mehr als überzeugt, bereit ist, für die ganz große Karriere den Pakt mit dem Teufel zu schließen, den er in seiner Paraderolle als Mephisto in Goethes „Faust“ selbst so verführerisch verkörpert. Dass er letztlich nur eine Schachfigur ist, abhängig von den Launen der Machthaber, mag er nicht wirklich einsehen. So bleibt Höffgen in der Interpretation von Klaus Maria Brandauer stets eine zwiespältige Figur: ebenso eitel und genial wie naiv – und immer bereit, sich selbst etwas vorzulügen. Einer, der sich und uns die immer wieder entscheidende Frage stellt: „Bin ich nicht ein unglaublicher Schurke?“ (17. 10. Arsenal)
Interessant ist es natürlich vor allem, sich „Mephisto“ noch einmal im Zusammenhang mit Oskar Roehlers misslungenem Melodram „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ anzusehen, einem Film um die Verstrickung des österreichischen Schauspielers Ferdinand Marian in Veit Harlans berüchtigten antisemitischen Propagandafilm „Jud Süß“ (1940). Beide Filme kreisen also um das gleiche Thema, doch wo Szabó das Bild einer komplexen Persönlichkeit und auch einer komplexen Gemengelage zeigt, setzen Roehler und sein Autor Klaus Richter auf zwanghafte Eindeutigkeit: Sie dichten Marian eine halbjüdische Ehefrau an, lassen den Schauspieler so als Opfer des Drucks durch Propagandaminister Goebbels erscheinen und entschuldigen ihn damit. Auch Marians ungeklärter Unfalltod wird schließlich zum Selbstmord aus Gewissensbissen umgedeutet. Diese publikumswirksame Zuspitzung aber muss scheitern bei einem Thema, bei dem eigenes Nachdenken und Nachforschen unerlässlich ist: Harlans „Jud Süß“ ist ein zentrales Werk der deutschen Filmgeschichte, doch seine tatsächliche Entstehungsgeschichte kennt kaum jemand, ebenso wenig wie den Film selbst. Und so steht zu befürchten, dass Roehler mit seiner simplen Geschichtsklitterung am Ende gar die Deutungshoheit gewinnt. (14.–20.10. Broadway, FaF, Kino im Kulturhaus Spandau, Kulturbrauerei, Passage)
Eine Werner-Herzog-Retro bietet zurzeit das Lichtblick-Kino: Neben den Kinski-Klassikern „Aguirre, der Zorn Gottes“, „Fitzcarraldo“ und „Woyzeck“ steht dabei auch die Kaspar-Hauser-Adaption „Jeder für sich und Gott gegen alle“ mit dem kürzlich verstorbenen Bruno S. auf dem Programm, der die völlige Fremd- und Verlorenheit seiner Figur brillant in eine stocksteife Körpersprache übersetzt. (14./16.–17.10. Lichtblick) LARS PENNING