■ Ein Dichter für die Nation: O Biermann!
Stets war dem Künstler Wolf Biermann eines sicher: Die Aufmerksamkeit seiner Freunde und Feinde. Seit langem aber ist sein Stern am Verlöschen, schrumpft die Fangemeinde, bleiben die Platten in den Geschäften liegen. Nach der Vereinigung wütete der Dichter verzweifelt durch die Feuilletons, köpfte die Stasi-Spitzel unter den einstigen DDR-Kollegen, mimte den Zukurzgekommenen. Es half alles nicht viel, trotz Büchnerpreis und dem munteren Begrifferaten in der ARD-Show „Dingsbums“ – die Erinnerungen an den Künstler in Biermann verblaßten immer mehr.
Nun aber soll wenigstens der alte Spielplatz wieder her, die Ostberliner Wohnung in der Chausseestraße. Zu Biermanns großem Glück sitzt darin auch noch ein PDS-Mann. Das bringt des Dichters Blut in Wallung. Denn wo Biermann einst gelebt hat, sind Räume nicht mehr nur Räume, sondern sakrale Stätten. Schon gar nicht sind sie eine Heimstatt für Postkommunisten. Biermann zur Deutschen Presse-Agentur (dpa): „Man setzt sich nicht in so eine Wohnung als PDS-Mann, im Parteijargon würde ich sagen: ,Kinders, das war ein bolittischer (sic!) Fehler.‘“ Großmäulig zieht Biermann in die Schlacht, nutzt die Öffentlichkeit für seine Show des obdachlosen Wahlberliners, den die Stadt angeblich so braucht. Neue Freunde begleiten ihn dabei: Für den Sprecher des Regierenden Bürgermeisters ist er eine „Bereicherung der Kultur unserer Stadt“, sein mit der Wohnungsrückgabe betrauter Rechtsanwalt Uwe Lehmann-Brauns, im Nebenberuf eifriger Kämpfer für die CDU-Kulturpolitik, setzt noch einen drauf und kürt den einstigen Oppositionsbarden zur neugermanischen Ikone: „Wenn wir schon soviel von Identität reden, dann müssen doch auch so wichtige Leute der Nation wie Biermann nach Berlin kommen.“ Da ist er also nun angelangt. Vielleicht wäre es ja tatsächlich das beste, man gäbe ihm seine Wohnung zurück. Dann wäre Ruhe, und der Mann könnte aus der Wohnung in der Chausseestraße sein eigenes Museum machen. Severin Weiland
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