■ Die Grünen sind und bleiben eine Westpartei: Nur zwei Silben im Parteinamen
Nichts lassen Bundestag und Bundesregierung unversucht, um ihren Umzug nach Berlin bis ins nächste Jahrtausend hinauszuschieben. Was sollen also Bündnis 90/Die Grünen dort, solange der politische Takt in Bonn geschlagen wird?
„Von Ostberlin sieht die Welt anders aus“, versuchte ein Ostdelegierter den Parteitag der Bündnisgrünen am Wochenende in Mainz umzustimmen. Am Rhein jedoch wird die Politik gemacht. Die ist mehr und mehr westdeutsch geprägt, der Osten kommt nur noch als teures und jammerndes Anhängsel vor. Die Zeit der großen Symbole ist vorbei, jetzt bestimmen die Schatzmeister die Melodie. Die Bündnisgrünen sind Teil dieses Prozesses der Re-Verwestlichung der bundesdeutschen Politik. Insofern war der Beschluß, den Umzug der Parteizentrale nach Berlin ins Jahr 1999 und damit letztendlich in das nächste Jahrtausend zu verschieben, logisch und konsequent.
Solange Joschka Fischer und Krista Sager in ihren Parteitagsreden mit keinem Wort den Osten des Landes mit seinen besonderen politischen Problemen erwähnen, solange in den Parteibeschlüssen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik der Osten um ein Haar vergessen wird, hätte auch die symbolische Botschaft eines frühen Umzugs nur den Nachrichtenwert einer Klatschkolumne.
Doch die westdeutsche Dominanz ist nicht nur Ergebnis der Ignoranz der Wessis in der Partei, sondern auch Produkt der Schwäche der ostdeutschen Bündnisgrünen in der Partei. Ihr Klammern an das Symbol des Umzugs und ihr Ruf, daß prominente Wessis in die Hauptstadt umziehen sollen, um von dort der PDS die Stirn zu bieten, sind Ausdruck ihres weitgehenden Unvermögens, sich selbst vor der drohenden politischen Bedeutungslosigkeit zu retten. Die Parteibasis in den neuen Bundesländern ist schwach und zerstritten. Zu den zentralen politischen Debatten der Partei, von der Friedenspolitik bis zur Ökosteuer, können sie kaum einen spezifisch ostdeutschen Beitrag beisteuern.
So bleibt auch in der Partei, die einst auszog, sich dem Osten gleichberechtigt zu nähern, nur noch die dem Parteinamen vorangestellte Worthülse „Bündnis 90“. Die Grünen sind und bleiben eine Westpartei. Und das ist auch die Voraussetzung dafür, daß sie in ihrem Entstehungsgebiet in der alten Bundesrepublik weiter politischen Erfolg haben. Christoph Seils
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