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Nebensachen aus ParisNur wer den Code kennt, darf rein

■ Private „Hochsicherheitstrakte“ haben in der französischen Hauptstadt den Hausmeister abgelöst

„Ich bin's. Frau Dupont aus dem ersten Stock.“ – Die Zeiten, da es reichte, dem Concierge die eigene Stimme und den eigenen Namen ins Parterre-Fenster zu rufen, um in der Nacht Einlaß zu bekommen, gehören der Vergangenheit an. Auch der kritisch musternde Blick aus dem Dunkel der Hausmeisterwohnung, an der jeder Hausbesucher tagsüber vorbei muß, ist rar geworden. Der moderne Pariser bahnt sich seinen Weg mit Zahlen- und Buchstabenkombinationen.

Die metallene Tastatur glänzt an so gut wie jeder Haustüre von Paris – selbst da, wo weiter oben die Fensterscheiben fehlen und der Putz bereits vor Jahren abgefallen ist. Wer rein will, muß schon an der Straße eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen in die Tastatur eingeben. Wer den Code nicht kennt, hat Pech gehabt. Klingeln gibt es nicht, Namensschilder erst recht nicht.

Mit dem Code ist die erste Hürde genommen. Als nächstes gilt es, den Weg durch das Wirrwarr von Aufgängen und Aufzügen zu finden. Für so manchen Hinterhauseingang ist eine zweite Zahlenkombination nötig, und viele Aufzüge setzen sich erst mit einem Schlüssel in Bewegung. Selbst wer die richtige Etage gefunden hat, ist keinesfalls angekommen. Mitunter stehen zwanzig Wohnungstüren zur Auswahl – und alle sind identisch. Statt in Blickhöhe empfiehlt es sich, auf den Boden zu gucken, wo gelegentlich die Initialen im Fußabtreter eingelassen sind. Damit wäre das Ziel erreicht, und die für gewöhnlich von innen mit einer Metallplatte und zwei bis drei Schlössern gesicherte Wohnungstür kann sich öffnen.

Für Neupariser stellt sich die Frage: Wie umgehen mit den Codes? Eselsbrücken à la „der dritte Buchstabe meines Vornamens, dann dreimal der Geburtstag meines Neffen“ können angesichts der Tatsache, daß fast jeder Pariser einen Code hat, schnell zu kompliziert werden. Also aufschreiben! Aber wo? Im Adreßbuch ist dafür keine Rubrik vorgesehen. Außerdem ändern sich die Codes im Gegensatz zu den Telefonnummern alle paar Monate. Und dann könnte das Adreßbuch ja auch mal in falsche Hände fallen.

Tatsächlich ist die Kriminalität das meistgenannte Argument für die Überwachungsanlagen. Seit den achtziger Jahren sind die Firmen, die „Hochsicherheitstüren“, elektronische Anlagen und Verbindungsleitungen zur Polizeiwache installieren, in Paris wie Pilze aus dem Boden geschossen. Allein 1991 gaben die Franzosen 40 Milliarden Francs (etwa 12,1 Milliarden Mark) für ihre Sicherheit aus. Und diese Ausgaben steigen jedes Jahr um neun Prozent.

Doch die Sicherheit ist nicht der einzige Grund für den Code- Boom. Mindestens ebenso wichtig ist das Bedürfnis der Hauptstädter nach Ruhe im Privatleben. Zu ihren ausgetüftelten Abschirmtechniken gehört der Anrufbeantworter, der nur die Telefonnummer, nicht aber den Namen des Angerufenen preisgibt. Wer persönlich ans Telefon geht, sagt grundsätzlich „hallo“ oder „oui“ und nicht den eigenen Namen. Soll sich der Anrufer doch erst einmal vorstellen.

Für Rendezvous gibt es das Bistro und das Café an der Ecke. Für neugierige Blicke den Boulevard. In die eigene Wohnung kommen nur ganz sorgfältig ausgewählte Freunde. Die Anzahl der Codes, die ein Pariser auswendig lernen muß, reduziert sich mit dieser Regel beträchtlich.

Lange Zeit war der Concierge Garant für Privatheit und Ruhe. Im 19. Jahrhundert riefen nächtliche Heimkehrer ihm ins Fenster: „Die Schnur bitte.“ Dann zog er – vorausgesetzt Stimme und Name paßten ihm – die Haustüre mit der Schnur auf. Später drückte der Concierge auf einen elektrischen Türöffner neben seinem Bett. Er verteilte Post (mit Namen gekennzeichnete Briefkästen waren so nicht mehr nötig), schirmte Störenfriede ab und half bei den Sorgen des Alltags weiter. Mit einem üppigen Trinkgeld am Jahresende hielten ihn die Hausbewohner bei Laune (und erwarteten als Gegenleistung seine Diskretion).

Während manche Nachbarn sich auch nach Jahrzehnten des Tür-an-Tür nicht kennengelernt hatten, wußte der Concierge einfach alles.

Seit dem Einzug der Digicodes sind viele Hausmeisterwohnungen verkauft worden. Reinigungsunternehmen putzen jetzt die Treppenhäuser und wechseln defekte Glühbirnen aus. Die Schnüre laufen jetzt bei dem „elektronischen Concierge“ zusammen. Dorothea Hahn

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