: Nur eine Stunde Förderung
SCHULREFORM In jedem Bezirk soll künftig ein Ganztagsgymnasium Schüler mit Förderbedarf besser unterstützen. Die zusätzliche Ausstattung dafür ist jedoch ziemlich dürftig
SCHULLEITER EBERHARD KREITMEYER
VON ALKE WIERTH
Die Schulreform, die Berlins bisher vier Oberschularten auf nur noch zwei reduziert, kratzt den Fortbestand der Gymnasien zwar nicht grundsätzlich an: Verändern sollen sich die traditionellen Akademiker-Ausbildungsstätten dennoch. Künftig verlosen sie zum Beispiel 30 Prozent ihrer Schulplätze. Sie sollen so auch solchen Kindern die Tür öffnen, die aufgrund ihrer Grundschulnoten kaum eine Chance auf einen Platz am Gymnasium gehabt hätten. Zudem soll künftig mindestens ein Gymnasium in jedem Stadtbezirk gebundenen Ganztagsbetrieb anbieten – „um“, so heißt es in einem Text der Senatsschulverwaltung dazu, „insbesondere Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Familien intensiver fördern zu können“.
Mit diesem Ziel der Bildungsverwaltung ist Eberhard Kreitmeyer voll und ganz einverstanden. Das Gottfried-Keller-Gymnasium in Charlottenburg-Wilmersdorf, das Kreitmeyer seit zweieinhalb Jahren leitet, „hat schon seit Jahren Schüler, die nicht das klassische Gymnasialklientel sind“, berichtet der Schulleiter. Die Gegend nördlich vom Mierendorffplatz, wo das Gymnasium liegt, habe sich in den letzten Jahren verändert: „Es ist weniger gutbürgerlich, dafür haben wir jetzt mehr Hartz-IV-abhängige Familien hier.“
Der Gymnasialdirektor hat selbst keine klassische Oberstudienratskarriere absolviert. Abitur hat er in Österreich gemacht, weil er das deutsche Abi nicht geschafft hat: „Ich war ein typischer Schulversager“, sagt Kreitmeyer. Bevor er Lehrer wurde, machte er eine Tischlerlehre, war selbständig, arbeitete als Taxifahrer und sogar als taz-Redakteur, bevor er 1989 mit 40 Jahren seine erste Lehrerstelle annahm.
Umso offener ist er jetzt für die Öffnung der Gymnasien: Etwa 40 Prozent seiner Schüler hätten schon jetzt keine Gymnasialempfehlung, sagt Kreitmeyer. Mehr als darauf komme es ihm auf die „Lern- und Wissbegierde“ der Bewerber an – die er in Anmeldegesprächen ermittelt. Die Idee, mit dem gebundenen Ganztagsbetrieb bessere Förderungsmöglichkeiten für benachteiligte SchülerInnen anbieten zu können, hat ihn deshalb sofort überzeugt: So könne mehr „Chancengleichkeit“ für Kinder aus „‚bildungsfernen‘ Schichten“ erreicht werden, heißt es in dem „Antrag auf Umwandlung zum Ganztagsgymnasium“ des Gymnasiums.
Keine Chancengleichheit
Genau diese Chance auf Chancengleichheit sieht Kreitmeyer nun jedoch gefährdet: durch die magere Ausstattung, die die Senatsbildungsverwaltung den Ganztagsgymnasien zukommen lässt. Für die „Schülerarbeitsstunden“, in denen die zusätzliche Förderung stattfinden soll, bekommen die Ganzstagsgymnasien nur 1,25 Lehrerstunden extra pro Woche zugebilligt. Das macht bei einer Schule mit 400 Kindern nicht mal eine Lehrerstelle zusätzlich. Die Sekundarschulen bekommen für die Förderstunden 3,25 Lehrerstunden und damit zwei volle Stellen mehr: „Dabei hat die Schulverwaltung den Ganztagsgymnasien die gleiche Ausstattung wie die Sekundarschulen versprochen“, schimpft Kreitmeyer.
Die Senatsschulverwaltung indes sieht ihr Versprechen erfüllt: Die Sekundarschulen hätten, da sie das Abitur nach dreizehn Jahren anbieten, lediglich 31,5 reguläre Unterrichtsstunden pro Woche, rechnet sie vor. Die Gymnasien mit dem Abitur nach zwölf Jahren dagegen haben 33,5 wöchentliche Unterrichtsstunden. Mit den jeweils zugestandenen Schülerarbeitsstunden kämen beide Schularten auf wöchentlich 34,75 Lehrerstunden pro Klasse.
Für die Ganzstagsgymnasien bedeute das, „dass wir jeder Klasse nur einmal in der Woche eine Stunde zusätzliche Förderung anbieten können“, sagt Kreitmeyer. Aus dem Ganztagsgymnasium als einer Schulform, die fördert, werde damit eine Schule, die „den anderen gegenüber klar benachteiligt ist“.