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Archiv-Artikel

Nur das halbe Vergnügen

Joan Didions neues Buch hat zwar nicht mehr die Qualität ihres „Weißen Albums“. Dennoch ist sie immer noch gut für reizende Details und pointierte Spitzen gegen die Großen der Welt

VON RENÉE ZUCKER

Es bleibt dabei: „Das weiße Album“ ist Joan Didions bestes Buch. Noch heute hört man beim Lesen den Rhythmus und den Sound der Siebzigerjahre. Selbst in der Titelgeschichte, die eigentlich im Los Angeles der Sechziger spielt. Aber der Sound einer Generation von schrillen Verrückten, die alle Pforten der Wahrnehmung aufgerissen hatten und nun nicht mehr zubekamen, hat sich bis ins neue Jahrtausend hinübergerettet. Er ist einfach zu beeindruckend.

Joan Didion hat das nie mehr so hinbekommen. Weder die Beschreibung eines Studiobesuchs bei den Doors, wo Jim Morrison nicht kommt, noch diese vernichtende Analyse der derzeit geradezu angebeteten Schriftstellerin Doris Lessing oder gar ihr unsterbliches Porträt von Linda Kasabian aus der Community von Charles Manson.

Didion war eine Mischung aus Rock ’n’ Roll, Hollywood und Politik gelungen, die kaum eine andere Frau so erreicht hat. Bis heute nicht. Und Didion selbst irgendwie auch nicht – mehr. Weil Amerika anders geworden ist. Weil wir alle anders geworden sind. Und weil es das Kalifornien, das Didion mit der Muttermilch aufgesogen hat, von dem sie so selbstverständlich zehrte, nicht mehr da ist. Dort wohnt jetzt Thomas Gottschalk.

Als vor 11 Jahren im Rowohlt Verlag die Essaysammlung „Nach Henry“ erschien (3 Jahre später als in den USA), da hatte man wegen einiger Anspielungen und Informationen, die sich vielleicht dem amerikanischen, aber nicht unbedingt dem deutschen Leser erschließen, am Ende des Buchs ein Glossar gemacht, in dem vor allem Personen und Orte erklärt wurden.

Diese Art von Leserfreundlichkeit hat sich der Tropen Verlag erspart, obwohl er nun gleich drei der besten Storys aus „Nach Henry“ für den Band „Im Land Gottes“ übernahm. Und nicht nur an diesen drei, auch an allen anderen Texten der wunderbaren Autorin zeigen sich doch die Schwächen einer über zehn Jahre späteren Veröffentlichung von journalistischen politischen Einwürfen.

Dennoch gibt es hier die immer wieder herrliche Geschichte von den presbyterianischen Reagans, wie sie einmal zu Katholiken in den Gottesdienst gingen und vorher instruiert werden, wie sich das mit der Kommunion verhält. Ronald hörte ein bisschen schlecht, wusste aber, dass er alles so machen sollte, wie Nancy es tat. Der war aber in der Aufregung, alles nur ja richtig zu machen, die Hostie in den Weinkelch gefallen, also ließ Ronald seine auch in den Wein fallen – und ging dann freudestrahlend aus der Kirche, weil alles so klasse gelaufen war.

Didion analysiert das sehr hübsch anschließend mit der Frau, deren Aufgabe es sei, das Gesicht ihres Mannes vor der Welt zu wahren – eine Aufgabe, deren Attraktion sich ja tatsächlich bis zu Hillary Clinton und Mrs Bush gehalten hat, aber irgendwie kommt einem ihre neunmalkluge, pointierte Art plötzlich so anachronistisch vor. Vielleicht, weil so viele sie imitiert haben. Und auch das Interesse an Clinton und seinem Ankläger Kenneth Starr dürfte sich seit dem 11. September spätestens um mindestens vier Fünftel reduziert haben.

Der elementar verändernde Charakter von Nine/Eleven taucht leider nur im ersten Essay „Starre Positionen oder der Angelpunkt der Geschichte“ auf. Wie es einmal einen Moment von selbstkritischer Nachdenklichkeit in der Geschichte Amerikas gab. Wie eine Debatte begann, die nicht fortgeführt wurde. Die Debatte darüber, „welche Aspekte der amerikanischen Präsenz in der Welt eine Situation geschaffen haben, in der Bewegungen wie al-Qaida blühen und gedeihen können.“

Nur ein aktueller Text von sieben in diesem Buch. Deshalb ist die Lektüre von Joan Didions Essays nur das halbe Vergnügen, auch wenn darin so reizende Details vermerkt sind wie jenes, dass Mrs Reagan in ihrer Autobiografie „Jetzt kann ich reden“ berichtet, wie sie ein neues Geschirr im Weißen Haus angeschafft hat, weil das alte der Johnsons keine Fingerschalen hatte. Was man sich sofort fragte, und man wundert sich, dass Didion es sich entgehen ließ, war: Warum hat es Mrs Richard Nixon und Mrs Jimmy Carter nicht gestört?

Man sollte sich unbedingt noch mal „Das weiße Album“ besorgen.

Joan Didion: „Im Land Gottes. Wie Amerika wurde, was es heute ist“. Aus dem Amerikanischen von Sabine Hedinger und Mary Fran Gilbert. Tropen Verlag, 189 Seiten, 18,80 Euro