Nur bei "höchstem Gefährdungspotenzial": Nachträgliche Sicherungsverwahrung
Für DDR-Altfälle ermöglicht das Bundesverfassungsgericht nachträgliche Sicherungsverwahrung. Im Fall eines Sexualtäters verlangt es aber den Nachweis einer gegenwärtigen Gefahr.
Freiburg taz Die nachträgliche Sicherungsverwahrung darf auch auf so genannte DDR-Altfälle angewendet werden, muss aber auf hochgefährliche Straftäter beschränkt bleiben. Dies entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht in einem am Mittwoch veröffentlichtem Beschluss. Geklagt hatte ein verurteilter 53jähriger Sexualtäter aus Leipzig.
Sicherungsverwahrung bedeutet, dass ein verurteilter Täter nach Verbüßung seiner Strafe nicht aus der Haft entlassen wird, weil weitere erhebliche Straftaten befürchtet werden.
Früher konnte die Sicherungsverwahrung nur direkt bei der Verurteilung ausgesprochen werden. Rot-Grün hat aber 2004 eingeführt, dass die Sicherungsverwahrung auch nachträglich angeordnet werden kann - wenn sich erst während der Haft die fortdauernde Gefährlichkeit herausstellt.
2007 hat der Bundestag diese Möglichkeit auf DDR-Altfälle erweitert. Nun kann die Sicherungsverwahrung auch dann nachträglich angeordnet werden, wenn gegen einen Täter im Strafurteil nur deshalb keine Sicherungsverwahrung verhängt wurde, weil es dieses Instrument in der DDR und nach der Wende gar nicht gab.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Gesetzesänderung jetzt gebilligt. Der rechtstaatlich gebotene Vertrauensschutz der Straftäter müsse hier hinter dem "Schutz der Allgemeinheit vor einzelnen hochgefährlichen Straftätern" zurücktreten. Die Maßnahme müsse aber auf "Verurteilte von höchstem Gefährdungspotenzial" beschränkt werden, so die Richter.
Im konkreten Fall ging es um einen Mann, der eine Haftstrafe wegen Vergewaltigung und sexuellem Mißbrauch absaß. Vor Haftende wurde in seiner Zelle mehrere Zettel gefunden, auf denen er Namen und Anschriften von Mädchem im Kindesalter, körperliche Merkmale, Telefonnummern und Angaben zur Erreichbarkeit notiert hatte. Das Landgericht Leipzig ordnete daraufhin nachträgliche Sicherungsverwahrung an.
Das Bundesverfassungsgericht sah hier jedoch keinen Fall, der die vorsorgliche Haftfortdauer rechtfertigt. Die mögliche Gefahr weiterer sexueller Übergriffe sei zwar "mittel- und langfristig" nicht ausgeschlossen worden, es fehle aber eine gegenwärtige Gefahr. Auch zur Schwere möglicher Sexualtaten habe sich das Gericht nicht klar geäußert. Sexuelle Übergriffe seien "nicht notwendig erhebliche Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden".
Der Mann wurde inzwischen aus der Haft entlassen, eine neue Entscheidung über die Sicherungsverwahrung wird das Landgericht Chemnitz treffen.
Der Karlsruher Beschluss wurde von den drei konservativen Richtern Udo di Fabio, Herbert Landau und Siegfried Broß gefällt. Az.: 2 BvR 749/08
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