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Nur Schweiß und Tränen für die CSSR

■ Premierminister Calfa legt ökonomische Misere offen / Sparpolitik, Liberalisierung und Umlenkung der Exporte Richtung Westen gefordert / Entscheidung für AKW-Ausbau

Berlin, Prag (taz) - Marian Calfa, jetzt parteiloser Ministerpräsident der CSSR, hat vor der Nationalversammlung ein überaus tristes Panorama der tschechoslowakischen Wirtschaft entworfen. Schon in der niedergehenden Jakes-Ära hatte das Prognose-Institut der Akademie unter Walter Komarek und die in die Emigration gezwungenen Wissenschaftler des Prager Frühlings eine radikale Umkehr in der Wirtschaftspolitik gefordert. Weg vom Moloch der Schwerindustrie und des Schwermaschinenbaus, der die Investitionen auffrißt und den Innovationsprozeß blockiert, Auflösung des Planungsapparats und Selbständigkeit für die Betriebe, Umorientierung des Außenhandels Richtung Westen und Einführung der Konvertibilität.

Calfas Regierungserklärung brachte zahlreiche neue Daten. Der Staatshaushalt ist nur zu 70 Prozent gedeckt. Während die Versorgungslage sich - insbesondere bei langlebigen Konsumgütern - weiter verschlechtert, modern unverkäufliche Waren im Wert von 70 Milliarden Kronen in den Lagerhallen vor sich hin. Obwohl die CSSR einer restriktiven Politik der Kreditaufnahme im Westen gefolgt war, liegt der Stand der Auslandsverschuldung jetzt bei 7,9 Milliarden Dollar.

Dem steht gegenüber, daß die Forderungen an eine Reihe arabischer und asiatischer Länder sowie an Kuba und Nicaragua auf der Verlustseite verbucht werden müssen. Calfa kündigte den raschen Abbau der Subventionen im Agrarsektor und eine zehnprozentige Kürzung des Verteidigungsetas an. Er forderte, West-Importe sowie den Kapitaltransfer zu liberalisieren.

Die Regierungserklärung ließ allerdings jede konkrete Planung, wie und mit welchen Mitteln die Orientierung auf die westlichen Märkte ins Werk gesetzt werden kann und die sozialen „Folgen dieses Prozesses unter Kontrolle gehalten werden können, vermissen.

Unklar blieb auch die künftige Ausgestaltung der Eigentumsverhältnisse. Während das in der Jakes-Ära verabschiedete Gesetz über die sozialistischen Betriebe noch vom einheitlichen Staatseigentum ausging und den Belegschaftsräten ein freilich eingeschränktes Initiativ und Kontrollrecht zugestand, scheint sich jetzt die Umwandlung der Staatsbetriebe in Aktiengesellschaften durchzusetzen. Die Belegschaften könnten dann, einen Teil des Aktienkapitals zu erwerben und so Einfluß auf die Betriebsleitung auszuüben.

Die künftige Rolle der Arbeiter und Angestellten im ökonomischen Entscheidungsprozeß stand allerdings nicht im Mittelpunkt von Calfas Rede. Was die Lohnabhängigen anlangt, übte er sich lediglich in der Churchillschen Rhetorik von (wenn nicht Blut) so doch Schweiß und Tränen, die er den Tschechen und Slowaken sicher verheißen könne. Eine Katastrophe sind die energiepolitischen Entscheidungen der Regierung. Um die Schließung von Braunkohlenwerken in der Energiebilanz auszugleichen, ist an einen forcierten Neubau von Atomkraftwerke gedacht.

Dieser Entscheid befestigt nicht nur den Einfluß der Defizitproduzenten von der Schwermaschinenlobby. Zusätzlich zu den bekannten Sicherheitsrisiken ist das Problem der Endlagerung völlig ungeklärt. Calfas Rede wurde zu einer weiteren Abrechnung mit dem Regime, das die einmaligen Chancen der hochindustrialisierten und vom Krieg weitgehend verschont gebliebenen CSSR nach 1945 verschleudert hat.

Der Neuanfang, zu dem er aufrief, wird allerdings nicht ohne die Menschen auskommen, wie sie sich in 42 Jahren Realsozialismus entwickelt haben. Wie G. Konrad sagte: „Was bleibt vom Sozialismus? Wir!“

Christian Semler

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