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Social Media im WahlkampfNur ein Like bis zur Wahl

Social Media wurde vor der Bundestagswahl 2025 zur Wahlkampfbühne. Wie nutzten die Parteien das Potenzial? Und wie kam die AfD zu ihrem Netzwerk?

Nicht nur auf TikTok erfolgreich: Heidi Reichinnek beim Bundesparteitag der Linken im Mai Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Berlin taz | Knapp zwei Drittel der Menschen in Deutschland nutzen regelmäßig Social-Media-Plattformen. Besonders junge Menschen verbringen viel Zeit auf Tiktok, Instagram und Co – im Schnitt über zwei Stunden täglich. Kein Wunder, dass die Plattformen auch für Wahlkämpfe immer wichtiger werden.

Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Progressiven Zentrum untersucht, wie die Parteien Instagram und Tiktok im Bundestagswahlkampf 2025 nutzen. Das Ergebnis: Über die Hälfte aller Beiträge der offiziellen Accounts von Parteien oder Kan­di­da­t:in­nen richteten sich an junge Menschen.

Die rechtsextreme AfD nutzte Social Media vor allem, um ihre Agenda zu verbreiten. Laut Studie sprach die Partei junge Menschen am wenigsten an. Und doch wird der AfD immer wieder nachgesagt, gerade auf Tiktok besonders erfolgreich zu sein. Ein Widerspruch?

Nur auf den ersten Blick. Melanie Weiser, eine der Autorinnen der Studie, erklärt, dass die AfD früh das Potenzial von Social Media erkannt habe. Die Partei habe sich ein Netzwerk aufgebaut, das weit über ihre offiziellen Accounts hinausreicht. Die inoffiziellen Accounts verbreiten die Inhalte der Partei teils noch radikaler und erzielen dabei große Reichweite, was die AfD so sichtbar auf Tiktok mache, meint Weiser.

Negative Aufmerksamkeit

Tiktok lebt von kurzen Inhalten, die emotionalisieren und polarisieren. Genau das nutzt die AfD. Die Plattform verstärkt durch ihre Algorithmen Inhalte, die besonders viel Interaktion (etwa Likes und Kommentare) erzeugen – positive wie negative. Auch von negativer Aufmerksamkeit profitiert die AfD.

In den Studienergebnissen fällt auf: 64 Prozent der Beiträge stellten die eigene Politik positiv dar. Verbale Angriffe auf andere Parteien waren insgesamt selten; und wenn am häufigsten von der rechtsextremen AfD und dem populistischen BSW. Insgesamt nutzten die Parteien die plattformspezifischen Möglichkeiten kaum. Während die AfD am meisten Selfies postete und Die Linke vor allem auf Infografiken setzte, blieb die kreative Nutzung von Social Media äußerst zurückhaltend.

Außerdem war die AfD zum ersten Mal nicht die Partei mit der höchsten Reichweite, seitdem Social Media in deutschen Wahlkämpfen genutzt wird. Die Linke hatte insgesamt die erfolgreichste Präsenz, vor allem durch Influencer:innen-Kampagnen und wegen der großen Popularität der Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek.

Insgesamt hatte die Partei die höchsten Aufrufzahlen, obwohl sie nicht die meisten Beiträge veröffentlichte, zeigt eine Erhebung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auch dürfte die Linke von ihrer klaren Gegenhaltung beim Thema Migration profitiert haben. Während alle Parteien Migration als zentrales Thema ansprachen, das besonders von der CDU und den Grünen negativ besetzt wurde, fokussierte sich die Linke auf soziale Gerechtigkeit und Wohnraum. Damit sprachen sie – im Gegensatz zur CDU und AfD – gezielt Themen an, die junge Menschen besonders beschäftigen. Die Ergebnisse werfen grundsätzliche Fragen über die Berücksichtigung von jungen Perspektiven in Parteien auf.

Algorithmische Empfehlungssysteme

Der Medienpädagoge Niels Brüggen betont die Dynamik, die Algorithmen auf Social Media erzeugen: Sie zeigen den Nut­ze­r:in­nen mehr Inhalte, die der eigenen Meinung entsprechen, und verstärken so bestehende Einstellungen. „Solche Effekte kennt man auch bei klassischen Medien“, sagt Brüggen, „aber durch algorithmische Empfehlungssysteme werden sie verstärkt.“

Brüggen fordert mehr politische Bildungsarbeit: Junge Menschen müssten befähigt werden, Inhalte einzuordnen und kritisch zu hinterfragen. Dabei müsse die Förderung von Medienkompetenz und von demokratischem Handeln zusammenspielen. Junge Menschen müssen erst lernen, wie demokratisches Aushandeln von Konflikten geht. Schulen und Vereine müssten hierfür Räume schaffen. Gerade weil Schulen oft hierarchisch organisiert sind und wenig Möglichkeiten für aktives Mitgestalten bieten. Politische Meinungsbildung erfolge nämlich nicht nur durch Social Media, sondern das soziale Umfeld spiele ebenfalls eine erhebliche Rolle.

Die Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt: Die Parteien haben das Potenzial von Social Media für ihren Wahlkampf erkannt. Dass sich allerdings junge Menschen immer weniger politisch gehört fühlen, während populistische Inhalte algorithmisch verstärkt werden, ist ein Problem. Sowohl für die politische Debatte als auch für die Demokratie insgesamt.

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