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Archiv-Artikel

„Notstandsgesetze für den Alltag“

LAUSCHANGRIFF Anwalt Rolf Gössner kritisiert eine Entscheidung der Bremer Innenpolitik, mit der „prekäre Verfassungsschutzbefugnisse“ verlängert werden, ohne ihre Anwendung ausgewertet zu haben

Rolf Gössner

■ ist Rechtsanwalt. Er sitzt als Parteiloser für „Die Linke“ in der Innendeputation der Bremischen Bürgerschaft und ist stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof.

taz: Herr Gössner, in Bremen hat die Innendeputation der Bürgerschaft gerade „prekäre Verfassungsschutzbefugnisse“ verlängert. Um was geht es da genau?

Rolf Gössner: Es geht um die Erfassung und Weitergabe von personenbezogenen Daten zur Terrorismusbekämpfung durch den Bremer Verfassungsschutz – und zwar weit im Vorfeld eines Straftatverdachts.

Wie kommt er an diese Daten?

Er hat das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen Auskünfte zu verlangen bei Banken, Luftfahrtunternehmen, Postdienstleistern und Telekommunikationsdiensten. Dabei geht es etwa um Geldanlagen, Konten- und Reisebewegungen oder Telefonverbindungen. Herausgefunden werden soll, wer von wo wann mit wem wie lange telefoniert hat oder wer wann mit wem wie lange verreiste. Auch darf er Handys orten und deren Nutzer identifizieren. Außerdem gehört zu diesen Befugnissen die elektronische Wohnraumüberwachung: also die akustische und optische Überwachung mithilfe von Wanzen, kurz: der große Lausch- und Spähangriff in und aus Wohnungen.

Über diese Befugnisse wird immer wieder neu entschieden ...

... weil diese Befugnisse nur befristet gelten. Das hat Gründe: Es handelt sich hier um besondere Ausforschungsbefugnisse, die in nicht unerheblichem Maße in Persönlichkeits- und Grundrechte eingreifen – ohne richterliche Vorkontrolle und ohne Unbeteiligte wirksam zu schützen. Vor jeder Fristverlängerung sollte deshalb überprüft werden, ob diese Regelungen taugen oder vielmehr Schaden anrichten.

Das wurde nicht gemacht?

Die Mehrheit der Innendeputation winkte diesen Tagesordnungspunkt wie eine Bagatelle durch – ohne Evaluation und ohne inhaltliche Debatte. Ein zweifelhaftes Abstimmungsverfahren, weil damit problematische Antiterror-Befugnisse ohne Überprüfung verlängert werden – nun schon zum dritten Mal.

Geht es mit rechten Dingen zu?

Eigentlich nicht. Innensenator Mäurer (SPD) ließ trotz gesetzlicher Verpflichtung keine Evaluierung durchführen – mit der Begründung, man müsse erst abwarten, weil die anderen Bundesländer und der Bund auch noch nicht evaluiert hätten. Dies soll erst 2012 erfolgen.

Die Innendeputation hat die Frist verlängert, ohne wirklich zu wissen, wie die Befugnisse bislang angewandt wurden?

Genau. Die Deputierten wussten also nichts über Häufigkeit, jeweilige Dauer, Ergebnisse und Kosten der praktischen Anwendung. Besonders die bürgerrechtliche Dimension blieb uns verborgen. So konnte die Deputation in meinen Augen nicht verantwortlich abstimmen. Dafür ist es wichtig, dass künftig eine unabhängige Auswertung stattfindet – eine Selbstevaluierung durch die Sicherheitsorgane reicht jedenfalls nicht.

Wer nutzt die Daten?

Zum einen der Bremer Verfassungsschutz, aber auch – über Nadis, das Nachrichtendienstliche Informationssystem – die Geheimdienste des Bundes und der Länder, im Fall eines Straftatverdachts auch die Polizei.

Wie läuft das in Hamburg?

Zu anderen Bundesländern kann ich nichts sagen. Doch gerade ist im Bundestag eine Anhörung zu einer Verschärfung der Befugnisse im Bundesverfassungsschutzgesetz durchgeführt worden. Es zeichnet sich ab, dass auch auf Bundesebene ohne eine unabhängige Auswertung und ohne Evaluierungsbericht sogar über eine Verschärfung der bestehenden Befugnisse entschieden werden soll.

Wo kommen wir denn da hin?

Diese Frage stelle ich mir schon lange, spätestens seit 9/11. Ein ausufernder Antiterrorkampf und eine wahre Flut sogenannter Antiterrorgesetze bescherten uns einen präventiven Sicherheitsstaat im alltäglichen „Ausnahmezustand“ – angeblich im Namen der Sicherheit, doch mit Sicherheit auf Kosten der Freiheit. Was wir dringend brauchen ist eine Generalrevision all dieser „Notstandsgesetze für den Alltag“. Interview: Tiziana Maneljuk