: Notbremsung gegen deutschen Mülltourismus
■ Krankenhausmüll und Kunststoffe aus dem Dualen System illegal in Frankreich abgekippt/ Pariser Umweltministerium zieht die Notbremse: Kein Müllimport mehr ohne Sondergenehmigung/ Bislang faktisch keine Kontrolle der DSD-Partner im Ausland
Berlin (taz) — Der erste angehaltene Laster war symptomatisch. In Leipzig hatte die Sero Leipzig, eine hundertprozentige Tochter des Berliner ALBA-Konzerns, vergangene Woche einen LKW mit Plastikmüll beladen. Der Müll war sortiert und sollte auf Vermittlung der Verwertungsgesellschaft Gebrauchte Kunststoffverpackungen (VGK) nach Frankreich gehen und dort — den Papieren entsprechend — zu Plastikformteilen für den Weinbau und die Austernzucht verarbeitet werden. Die VGK arbeitet für das Duale System Deutschland, die private Verpackungsmüllentsorgung. Die französische Firma Concorde hatte den Deutschen die stoffliche Verwertung schriftlich zugesagt: Das von Minister Klaus Töpfer (CDU) und der Industrie erdachte Duale System (DSD) war im vereinten Europa bei der Arbeit.
Nach den Regeln würde in Frankreich jetzt deutsches Plastik eingeschmolzen, und alles wäre zumindest rechtlich in Butter. Deutsche Behörden wären überhaupt nicht gefragt. „Es hätte sich gar nicht um Abfall gehandelt“, so Dolf Straub vom Berliner Umweltsenat. Und damit wären Länder, die die Abfallhoheit haben, rechtlich aus dem Schneider.
Doch dann zerplatzte die Seifenblase. In Frankreich wurde der Laster angehalten und hatte Massen an Krankenhausmüll an Bord: Spritzen, Katheder, Blutbeutel und ähnliches. Nach französischem Recht handelte es sich dabei jedenfalls um Sondermüll, der illegal eingeführt werden sollte. Gleichzeitig fanden die französischen Behörden in einem Bergwerk und einer Kiesgrube große Mengen Müll mit dem Grünen Punkt. „Wertstoffe“ waren jenseits des Geltungsbereichs der Töpferschen Verpackungsverordnung wieder zu Müll geworden und abgekippt worden — von Concorde, die als Vertragspartner der Deutschen fungierte. Die französischen Behörden reagierten mit verschärften Kontrollen: Immer mehr Laster wurden an der Grenze zurückgeschickt.
Gestern zogen sowohl die Regierung in Paris als auch das Duale System Deutschland dann die Notbremse. „Müll darf ab sofort nur noch mit einer Sondergenehmigung von Deutschland nach Frankreich geschafft werden“, so ein Sprecher des französischen Umweltministeriums. Eine entsprechende Verordnung veröffentlichte die Regierung in Paris im französischen Amtsblatt. Frankreich importiert Jahr für Jahr 700.000 Tonnen deutschen Müll.
Das Duale System Deutschland stoppte ebenfalls gestern den Export von „Plastikwertstoffen“ nach Frankreich. Die Bonner privaten Müllverwerter verkündeten ein Moratorium, bis alle Umstände der Schieberei aufgeklärt seien — notwendig, denn die Wertstoffe sind ja rechtlich kein Müll.
Die Verbraucher Initiative, die im Beirat der DSD sitzt und sie erklärtermaßen kontrollieren will, verlangte härtere Konsequenzen. Ihr Vorsitzender, Gerd Billen, erklärte: „Wenn die Verwertungsgesellschaft Gebrauchte Kunststoffverpackungen nicht in der Lage ist, eine ordnungsgemäße stoffliche Verwertung von gebrauchten Kunststoffverpackungen sicherzustellen, darf es auf Kunststoffverpackungen keinen Grünen Punkt geben.“ Das käme mittelfristig einem Verbot von Plastikverpackungen gleich. Billen ging noch weiter und forderte ein generelles Verbot des Exports von Müll und Recyclingmaterial.
Die Kunststoffverwertung ist das Sorgenkind der privaten deutschen Müllwirtschaft. Die VGK, in der die Hersteller von Plastikverpackungen und die chemische Industrie dominieren, soll Plastik als Verpackungsmaterial retten und dazu in ganz Europa das in der Verpackungsverordnung vorgeschriebene Recycling der verschiedenen Kunststoffe aus deutschen Landen organisieren. Das Bad Homburger Unternehmen, das mit rund zwanzig Subunternehmen Recycling abwickelt, versucht inzwischen mit einer Strafanzeige gegen den französischen Partner Concorde das Gesicht zu wahren.
DSD und VGK wollen jetzt, Monate nachdem ihre Mülltransporte über Europas Grenzen begonnen haben, mit der Kontrolle ihrer Vertragspartner beginnen. Der TÜV soll die Subunternehmen unter die Lupe nehmen, ob sie die Aufarbeitung des Verpackungsmülls leisten können und ob der Kunststoff, der vorne in die Fabriken hineingeht, sie auch hinten wieder verläßt. Für die bisherige Praxis bietet das Berliner DSD- Unternehmen DASS ein hervorragendes Beispiel: „Wir haben die Concorde schriftlich gefragt, ob sie die Mischkunststoffraktionen stofflich verwerten kann, und die haben uns das schriftlich mitgeteilt“, so DASS-Sprecher Bernhard Neitsch. Sein Kommentar: In Zukunft müßten die Geschäftspartner wohl „ein bißchen gründlicher“ unter die Lupe genommen werden. Hermann-Josef Tenhagen
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