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Archiv-Artikel

Normalzeit HELMUT HÖGE

„Wir können auch andere Saiten aufziehen …“ (Vattenfall-Anwalt zu einem Kläger, der nicht klein beigeben wollte)

Der Frost hat uns kalt erwischt. Dazu kommt noch, dass in der taz die Heizung ausgefallen ist, angeblich in der ganzen Kochstraße. Aber der Reparaturwagen des Versorgers Vattenfall parkt bereits am Straßenrand. Ein Mann entnimmt ihm ein kleines elektronisches Bauteil, ein Relais – damit geht er die Kochstraße runter. Er trägt ein offenes Jackett, trotzdem scheint er nicht zu frieren. Die Heizung kriegt er allerdings auch nicht in Gang.

Anruf von Michael Gromm, dem Kämpfer für das inzwischen plattgemachte Dorf Horn. Er befindet sich in der Nähe von Cottbus. Auch da hat Vattenfall anscheinend Scheiße gebaut – und zwar im Naturschutzgebiet „Lacomaer Teiche“. Der schwedische Konzern, der in Berlin den kommunalen Stromversorger Bewag übernahm und in der Lausitz den Braunkohletagebau nebst Kraftwerken, will die Teiche abbaggern. Doch die EU stoppte ihn auf Drängen vieler Naturschützer, woraufhin die Vattenfall-Leute, gedeckt vom Landesbergamt, einfach „aus Versehen“ etliche Bäume fällen ließen, um vollendete Tatsachen zu schaffen – wie zuvor auch schon in Horno.

In Berlin steigt derweil die Zahl der Vattenfall-Gegner. Das fing schon gleich nach der Wende damit an, dass die Bewag ein riesiges neues Verwaltungszentrum quasi am Mauerrand in Treptow errichten ließ, und zwar von den üblichen mit CDU und Landesbank verflochtenen Westberliner „Immobilienhaien“. Daneben wurde kräftig investiert, unter anderem in das Kraftwerk Rummelsburg. Wenig später verkaufte das Land Berlin die Bewag.

Im vergangenen Jahr „erwirtschaftete“ Vattenfall einen kräftigen Gewinn. Wem das nicht passt, steht vor einem Problem. Es nützt nämlich nichts, sich privat einen anderen – anständigeren – Stromversorger zu nehmen; für das Versorgungsnetz ist man weiter auf Vattenfall angewiesen. Man muss sich schon zusammentun und etwas auf die Beine stellen, um die Bewag wieder zu „rekommunalisieren“ oder zu „vergenossenschaften“. In beiden Fällen müsste die Privatisierung wieder rückgängig gemacht werden.

Einfacher sieht es damit bei den noch halbkommunalen Berliner Wasserbetrieben aus, und auch bei der Sparkasse scheint noch nicht alles verloren. Deswegen gibt es zu diesen beiden Kommunalbetrieben derzeit auch eher noch als zur Bewag Aktivitäten. Viele Menschen kennen das Fiasko bei der Privatisierung der britischen Eisenbahn und der Wasserversorgung von Buenos Aires. Le Monde diplomatique berichtete kürzlich über die Tragödie der Privatisierung des „Dakar-Niger-Expresses“ durch den frankokanadischen Konzern „Transrail“.

Etliche kleine Privatisierungen auf lokaler Basis – wie die der sogenannten Ferkeltaxis, also Schienenbusse, in Brandenburg – beweisen unterdessen jedoch, dass bestimmte Infrastruktureinrichtungen basisnah betrieben besser funktionieren, als wenn sie staatlich-zentralisiert verwaltet werden.

Überhaupt macht sich ein allgemeiner Staatsverdruss breit. Er geht fatalerweise mit einer zunehmenden Bewegungsfeindlichkeit einher: Projekte und NGOs sind die Alternativen. Es steht also schlecht um die Wiedervergesellschaftung der Bewag von Vattenfall. Die anhaltenden Verstaatlichungen in Afrika und vor allem in Südamerika zeigen jedoch, dass man auch noch was machen kann, wenn der Zug bereits abgefahren ist. Diese Form von (sozialistischer) Staatspolitik begrüßt man jedoch typischerweise mehr in Ostdeutschland als im Westen, wo das amerikanisierte NGO-Projektedenken vorherrscht. Immerhin: In einigen westdeutschen Kommunen – Bad Iburg und Bremen zum Beispiel – wollen die Bürger nun ihre Gasversorgung vergenossenschaften. Und aus Freiburg kommt die Bewegungsmeldung, dass die Bürger dort eine Privatisierung von Kommunalwohnungen nicht zulassen werden. In Berlin kämpfen dagegen gleich mehrere US-Immobilienkonzerne um die städtischen Neubauviertel, und der Senat arbeitet ihnen mit jedem Abriss von Plattenbausiedlungen zu.

Über Hartz IV entstehen gleichzeitig immer homogenere Zonen der Armut. Wie Mike Davis gerade in seinem neuen Buch über den Hausbesetzer als Massenphänomen, „Planet der Slums“, herausgearbeitet hat, machen heute die Spekulanten weltweit mit neuen Slums die größten Gewinne. Schon beschäftigen sich die ersten Kunstprojekte hier mit dem Bau von Elendshütten aus Abfällen: „One Man’s Trash Is Another Man’s Treasure“ von Köbberling und Kaltwasser. Da greift die Kunst ein, wo die Politik versagt.