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Archiv-Artikel

Normalzeit HELMUT HÖGE über das Wetter, Foucault, die Eifersucht und wieder das Wetter

Nicht nur russische Autoren lassen gerne die Gefühlsregungen ihrer Protagonisten im Wetter widerspiegeln

Wenn man dieser Tage nach oben kuckt: blauer Himmel, weiße Wolken, manchmal zusammengezogen, dann fragt sich mancher bang, ob es schlechter wird – das Wetter. Aber nein, es kommt nur ein kühler Wind auf, der angenehm, durch die leichte Sommerkleidung hindurch die Haut streift.

Einige wollen es genau wissen: Sie kucken sich die Wolkenbildung online an und den Wetterbericht im Fernsehen. Kachelmann ist schon fast abendfüllend geworden, im italienischen Fernsehen verkünden Ansagerinnen das Wetter oben ohne. Erstaunt entdecke ich bei Dussmann, dass die Bücher über das Wetter schon ganze Regale füllen.

Später sitze ich im Café unter einem alten roten SDS-Werbeplakat – mit den Köpfen von Marx, Engels, Lenin und Mao und dem Spruch: „Alle reden vom Wetter, wir nicht“. Man muss, sagte Marx einst, das menschliche Leben seines naturwüchsigen Charakters entkleiden, es durch die reine Herrschaft über die Natur definieren, damit die assoziierten und sich zusammenschließenden Menschen endlich ihre eigene Natur erkennen und sich mit der Natur außerhalb ihrer verbinden.

Noch später – durch den Tiergarten gehend – machen die mir Entgegenkommenden und die auf den Wiesen mehr oder weniger entblößt Herumliegenden den Eindruck, zumal all jene, die gedankenverloren in den Himmel starren, dass sie sich „mit der Natur außerhalb ihrer“ zu verbinden versuchen – oder „endlich ihre eigene Natur“ zu finden hoffen. Dieser Eindruck muss nicht falsch sein, ganz sicher tun sie dies jedoch nicht „assoziiert“ und „sich zusammenschließend“.

Dies gilt auch für die vielen Paare im Park. Am Rand der Schwulenwiese liegen überall gebrauchte Präservative herum, das deutet auf besonders kurzfristige „Zusammenschlüsse“ hin. „Das Ziel, auf das die Entwicklung der Homosexualität hinausläuft, ist das Problem der Freundschaft“, meinte Michel Foucault. Dieses Problem stellt sich allen Paaren, man ist erst zu dritt eine Gruppe.

Foucault definierte die Freundschaft als „die Summe all der Dinge, über die man einander Freude und Lust bereiten kann“. Bei der Gruppe geht es um mehr, um ein politisches oder sonst wie geartetes Ziel. Beim Paar wäre dieses vielleicht die Freundschaft. Sie ist in der Heterosexualität noch schwerer zu erreichen als in der Homosexualität („La Femme n’existe pas“, so sagte es Jacques Lacan). Aber die einen wie die anderen müssen dabei nach „Existenzstilen“ suchen, die zwar große Unterschiede haben können, sich jedoch nur in „gemeinsamer Arbeit“ realisieren können – und gerade nicht in Arbeitsteilung und Klagemauer.

Foucault bringt in diesem Zusammenhang einen Gegensatz zur allgemeinen Moral ins Spiel: eine „Ethik“, die man auch als eine „Praxis der Freiheit“ bezeichnen könnte. Von da aus müsste das Paar seine „Beziehung“ jenseits aller Eifersüchte zwischen Verlangen und Loslassen ausbalancieren. Was ist, wenn ihre „Natur“ da nicht mitspielt?

Die Gentechnik macht es sich leicht, indem sie die Zweite Natur zur Ersten erklärt – und einfach ein „Eifersuchts-Gen“ isoliert. Eifersucht macht klein und hässlich, sich ihr zu verschließen, einsam und dumm. Gilt es dabei also auch, sich „auszubalancieren“?

Diese ganzen Gedanken kommen mir, weil ich mich in einer Parkecke auf einer Bank niederließ, wo jemand eine BZ liegen gelassen hatte.

Darin stand: „Laut einer Umfrage des Wickert Instituts leiden 77 Prozent der Frauen und 80 Prozent der Männer an Eifersucht. Und 82 Prozent der Deutschen reagieren, nach einer Untersuchung der Münchner Gesellschaft für Rationale Psychologie, auf Untreue mit Eifersucht. Wie groß das Problem ist und welche persönlichen Schicksale damit verbunden sind, wird erst so richtig deutlich, wenn wir einen Blick in die Tageszeitungen werfen. Dort wird fast ebenso häufig über die Taten eifersüchtiger Menschen berichtet wie über das Wetter.“

Und dieses, so darf ich hinzufügen, hat man lange Zeit für die Tat eines äußerst eifersüchtigen Gottes gehalten. Heute weiß man mit Sicherheit nur noch: „Wenn es warm wird und die Leute sich weniger anziehen, häufen sich die Eifersuchtsfälle.“ (Die Welt).