■ Normalzeit: Wir sind auch eine soziale Einrichtung
Daß jetzt immer mehr Linke, die als Journalisten gearbeitet haben, bei Burda, Springer und Bertelsmann anfangen, habe ich bisher meist nur als Zeit-Zeichen gedeutet. Als Ausdruck einer um sich greifenden Angst vor dem sozialen Abstieg, die erst den Osten und nun auch immer mehr den Westen erreicht.
Neulich nun kam es ganz dicke. Das war im La Strada in der Potsdamer Straße, das sich auch noch „Medienbar“ nennt, weil nebenan mal die Radio-100- Redaktion saß und damit im Pachtvertrag ein günstiger Nachlaß ausgehandelt werden konnte. An jenem Abend saß neben mir der Chefredakteur von Prinz, ein Lübecker, der einen hartnäckigen investigativen Feldzug gegen die „Scientologen“ führt. Grad neulich war ihm in einer Kneipe, in der sich auch einige Mitarbeiter dieser Marktwirtschafts-Sekte befanden, seine Aktentasche mit wichtigen Unterlagen abhanden gekommen. Jeden Tag forschte er nach ihr. Am dritten Tag war sie wieder da. Sie stand in einer Ecke der Kneipe. Mir gegenüber saß die ledige Gerichtsreporterin der Wochenpost, die sich gerade über „Kindsmord“ kundig machte. Neben ihr der schwule Rezensent politischer Bücher bei der FAZ. Ich erwähne seine Homosexualität hier nur aus Adjektivgründen. An sich sah er mit seiner hochmodernen Männerfrisur stock-heterosexuell aus, aber auch nicht unangenehm. Dann war da der Chef vom Dienst der BZ, ein Nürnberger, der zuvor bei der fränkischen Alternativ-Zeitung Der Plärrer mitgemacht hatte. Er hatte einen seiner BZ-Reporter mitgebracht, der ebenfalls aus Bayern kam und es dort bis zum Mega-Graecum gebracht hatte, dazu noch zum Ministranten in seiner Heimatgemeinde. Jetzt war er gerade mit einer „Tolerance-Story“ über eine schwäbische Punkerin in Berlin beschäftigt. Die erste Folge seiner Fortsetzungsgeschichte in der BZ hatte er dabei. Sie diente der Runde eine Weile lang als Diskussionsgrundlage.
Bis eine Prinz-Musikkritikerin Platz nahm. Sie war schrill gekleidet und betrunken. Und brachte sich gleich voll ein, wie man so sagt. Nachdem sie mit ihrem heimtückisch aussehenden Begleiter wieder abgezogen war, meinte der Prinz-Chefredakteur: „Ja, wir sind auch eine soziale Einrichtung.“ Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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