■ Normalzeit: Spießerfreuden hüben und drüben
Neulich bekam ich eine Sammlung schwarzweißer DDR-Orwo- Aktdias von einem Erdgastrassenbauer aus Berlin-Hohenschönhausen geschenkt, in der jedoch die Frau „mit dem schönsten Arsch – ausgerechnet“ fehlte: Das Dia von ihr war ihm kurz zuvor in seinem „Scheiß- DDR-Projektor“ verbrannt. Der Erdgastrassenbauer hatte – als Schweißer – von 1978 bis 1989 im Ural gearbeitet, zuletzt am Pipelineabschnitt Perm. Zeitweilig waren an diesem „Druschba-Projekt“, das als Antwort auf das westliche „Röhrenembargo“ entstand, bis zu 15.000 DDRler beteiligt. Sie wurden gut bezahlt. Die drei Bauabschnitte in Rußland und der Ukraine, zu denen die Errichtung von ganzen Wohnsiedlungen, Fabriken, Straßen und sogar Gewächshäusern gehörte, wurden vollständig von DDR-Firmen bedient – das ging bis hin zum Kulturprogramm für die „Trassenbauer“, und dazu zählten z.B. transportable Kegelbahnen und „Disko-Mobile“, für letztere war die FDJ zuständig. Das meiste davon gibt es heute nicht mehr, seitdem die Bundesrepublik die Fertigstellung übernommen hat. Jetzt stammen auch nur noch eine Handvoll Leitungskader aus der ehemaligen DDR, ansonsten wird jeder beschäftigt, der nicht zu viel Geld verlangt. An marktwirtschaftlichen Freizeiteinrichtungen haben sich bis jetzt nur einige Bordelle um die Arbeitscamps herum etabliert. „Früher“, zu DDR-Zeiten, lud man bisweilen, im nahen Tschaikowski etwa, die eine oder andere Frauenbrigade aus einem Textilkombinat zu einem „Disco- Abend“ an die Trasse. Sie wurden mit Bussen abgeholt und zurückgebracht, dabei entstanden auch Freundschaften, „aber die Trassen-Ehen hielten alle nicht lange“.
An Bildmaterial für ihre Sexualphantasien stand den überwiegend männlichen Trassenbauern vor allem die (immer noch) existierende Zeitschrift Magazin, eine Art DDR-Mini-Playboy, zur Verfügung sowie die schon seit 1980 nicht mehr existierende Fotozeitschrift Akty. Die Fotos finden sich in des Trassenbauers Diasammlung, die dieser – „in einsamen Tundranächten“ – anlegte, indem er sich „die schönsten Frauen“ aus ausgeliehenen Heften „rausfotografierte“. Die Aufnahmen sortierte er dann – etwa nach bestimmten Posen: „Also alle Brüste und Ärsche zusammen.“
Mir schenkte er die Sammlung, weil er sie nicht mehr „brauchte“: „Es gibt ja nun Pornovideos.“ (Die waren damals verboten.) Jetzt dreht er zusammen mit seiner Freundin bisweilen sogar selber welche, für sich – (streng) privat. Die Dias können sich jedoch wirklich sehen lassen: Dieser komische Sozialismus (drüben) hat nämlich die Entstehung einer erotischen Ästhetik begünstigt, die sich, zwar männlich aber dennoch ethisch fundiert, von den West-Wichsvorlagen wesentlich unterschied. Um diese andere Qualität zu benennen, fällt Männern und Frauen meist das ideologisch-abgedroschene Adjektiv „natürlich weiblich“ ein. Eventuell kann ein Vergleich mit Katarina Witt und den zwei amerikanischen „Eisprinzessinnen“ verdeutlichen, was sie meinen. In der Frankfurter Rundschau schrieb Helmut Böttiger gerade über diese gelungene „Verbindung von Sozialismus und Erotik“ in der Person „unsere Kati“, wie die Olympiasiegerin in der DDR auch genannt wurde. Böttiger analysiert dieses „bestürzende Ereignis“ – leider falsch – als ästhetisches und nicht als ethisches Phänomen: Die Eissportlerin aus Karl-Marx-Stadt, aber allem Anschein nach auch die namenlosen Aktmodelle aus der Diasammlung des Trassenbauers haben sich bzw. ihren Körper nicht aus Not bzw. um einer Karriere willen „verkauft“, wohl auch gar nicht verkaufen können, sondern vielleicht aus Neugier, Stolz, einer bloßen Laune heraus oder auch – wer weiß – aus Blödheit: Weil es sich (gerade) so fügte. Und das macht diese merkwürdige Andersartigkeit der Dias aus. Man erkennt daran, daß wir uns wirklich mit dem letzten Scheiß der DDR beschäftigen müssen, nicht zuletzt deswegen, weil uns zu ihren Lebzeiten dort nur wenig interessierte. Das macht vielleicht das eigentlich Grausame an der Wiedervereinigung aus. Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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