piwik no script img

■ NormalzeitDer Stasi-Kontakt – ein Pesthauch

Die meisten 30- bis 50jährigen DDRler haben keinerlei Kampferfahrung, schon gar nicht gegen den Staat! Daß ein guter Kommunist ein Toter auf Urlaub ist, dieses Credo, das haben sie sich in ihrem Oxymoron, kommunistischer Staat, so ausgelegt: Stell dich tot, dann hast du immer Urlaub im Sozialismus! Jetzt, wo allein in Berlin Zigtausende im öffentlichen Dienst über das Gaucken geext werden sollen, müssen viele umlernen.

Dazu hat sich erst einmal eine Betroffenengruppe öffentlicher Dienst gebildet, mit z.T. außerordentlich kämpferischen Frauen, die früher bei der VP oder bei der NVA waren und dort schon, als Ausnahmen, gegen ihre Entfernung aus dem Dienst auf die Barrikaden gegangen sind. Sie betrachten es als ersten Schritt, sich zu wehren, wenn der oder die Betroffene nicht gleich einen Aufhebungsvertrag unterschreibt und dann mit einer 30.000-Mark-Abfindung in die ewige Arbeitslosigkeit geht, sondern vor dem Arbeitsgericht klagt.

Neulich wurde dort eine Sozialamts-Sachbearbeiterin verhandelt, die als 18jährige Schülerin während der Weltjugendfestspiele 1973 Franzosen betreut hatte. Anschließend sollte sie jemandem von einer Behörde darüber berichten und erhielt dafür zweimal ein Geschenk (im Wert von 30 Mark). Dies war ihr Stasi- Kontakt, den sie im Fragebogen nicht angegeben hatte. Die Richterin fragte den Juristen des Bezirksamtes: „Halten Sie an der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung fest oder geht es Ihnen um die Unwahrheit?“ Dazu fiel ihm nichts ein. Aber das war der Punkt: Die Betroffene wußte gar nicht, daß es sich damals um einen Stasi-Kontakt gehandelt hatte. Hätte sie aber trotzdem im Gauck-Fragebogen das Kreuz an der „richtigen Stelle“ gemacht, wäre sie schon vor zwei Jahren entlassen worden.

Nun lief dieser ganze Arbeitsgerichtsprozeß darauf hinaus, sich durch die Instanzen zu kämpfen. Dafür hatte sie aber kein Geld. Es blieb bei der ersten Instanz und einem Vergleich: Ihr wird fristgemäß aus „betriebsbedingten Gründen“ gekündigt, sie bekommt also noch einige Monate volles Gehalt, ohne dafür arbeiten zu müssen. Außerdem zahlt ihr das Bezirksamt 7.000 Mark Abfindung und stellt ihr ein „qualifiziertes, wohlwollendes Zeugnis“ aus. Wie üblich, wußte die Klägerin, als man anschließend in der Arbeitsgerichtskantine vor dem exquisiten Seewasser-Aquarium mit der Betroffenen-Initiative zusammensaß, nicht, ob sie über ihren Vergleich glücklich oder unglücklich sein sollte. Immerhin machte es sie froh, daß ihr alle auf die Schulter klopften, weil sie sich so wunderbar kiebig gegenüber den Unzumutbarkeiten des Bezirksamtsjuristen gezeigt hatte. Auch ihre Anwältin fand das. Und ebenso wohl die Richterin, die sich mehr und mehr auf ihre Seite geschlagen hatte. Das sei doch schon mal ein guter Anfang in der neuen Gesellschaft, fand man.

Ich fand, inmitten all dieser dauergewellten Mittelklasse- Frauen aus den Bezirksämtern, die im Westen immer Inbegriff alles Spießerhaften für mich waren, daß es sich dabei doch um ganz tolle witzige Frauen handelt – und alle sind übrigens PDS-Wähler, wenn nicht gar -Mitglieder. Da werden sich die SPDler noch wundern. Die sind jetzt oft und gerne ihre Vorgesetzten – der eine als Bezirksbürgermeister, früher war er der Genosse Leutnant (und schied wegen Kameradendiebstahl aus Partei und Organ aus, wird behauptet, er selbst gibt jedoch politische Differenzen an), der andere als Stadtrat für Soziales, dieser Genosse war Hauptmann (er mußte wegen Alkohol den Dienst quittieren, sagt man, er selbst nennt es rückblickend Widerstand). Helmut Höge

Wird fortgesetzt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen