■ Normalzeit: Agoraphilie und Aquaphobie
Die „Revolution auf dem Trockenen“ heißt eine Veranstaltungsserie von O2-Galerist Krause und Bernd Holtfreter aus dem Entweder Oderberger-Verein (der ältesten Ostberliner Bürgerinitiative) im stillgelegten Stadtbad Oderberger Straße. Dort steht nun an der tiefsten Stelle des Beckens ein Tisch mit vielen Stühlen drum herum. Und mitunter schauen 300 Leute täglich rein.
Am 1.12. waren einige SED- Reformer zur Diskussion geladen, darunter Brie und Land, der zweimal vor die Kontrollkommission zitierte Peter Ruben, der Ex- Kombinatsdirektor und jetzige Unternehmensberater Burkhard Kleinert sowie der Parteisekretär des Werks für Fernsehelektronik, Robert. Nicht zu vergessen Thomas Kuczinsky, der aber den ganzen Abend stumm blieb. Vom Neuen Forum, mit dem am Tag zuvor gestritten worden war, erschienen diesmal Bernd Florat, Bernd Gehrke und Klaus Wolfram. Letzterer meinte über die vorangegangene Debatte: „Die Bürgerbewegten lügen sich rückblickend ihre Geschichte zurecht.“ Dies konnte man von den SED-Reformern nicht sagen, weswegen sich das Gespräch auch bis 2 Uhr nachts hinzog. Ohnehin verlief hierbei die Frontlinie nicht zwischen Kleinbürgerpartei und Großbürgerbewegung, wiewohl Klaus Wolfram auf die „Oberschichten-Isolierung“ aller Drittweg-Anhänger in der „Intelligenz“ insistierte. Auch wenn heute einige Karrieristen vom Neuen Forum meinen, „wir haben alle Ziele erreicht“, und die eher deklassierten Reformer von einem „Spaltungsversäumnis“ reden, bleibt das gemeinsame Bestreben, sich über das Fading-Away ihres (ideologischen) Territoriums zu verständigen, das „von außen“ anhub, in Polen dagegen „von innen“ und in der UdSSR „von oben“.
Mich erinnerte die ebenso kluge wie bedächtige Debatte an den Phantomschmerz von Kriegsamputierten. Hier existierte er stellenweise sogar schon vor dem Kampfeinsatz: So meinte Brie z.B., daß ein „Vakuum“ entstehe, „wenn man von unten was anschiebe“, in das dann der „Westen“ stoße. „Das habe ich bis zum Oktober 89 gewußt, dann für einen Moment vergessen, und dann habe ich es begriffen.“ Ruben hatte Ähnliches bei den Prager Reformern 68 gedacht, 89 hoffte er auf das Walten einer objektiven Vernunft, „nicht auf die Kraft des subjektiven Geistes“, mittels derer ein „Selektionsmechanismus“ in der Partei diese wieder auf die Höhe der Zeit bringen würde.
Karl-Heinz Heimann nannte so etwas „die Falle SED“. Das hinderte Rainer Land aber nicht, 89 an einem Entstaatlichungs- Konzept für die „Interflug“ mitzuarbeiten, die dann jedoch trotz Widerstands zugunsten der Lufthansa abgewickelt wurde. Bahnenweise kam die Oderberger-Bad-Diskussion dem Denken von George Soros nahe. Der west-weltgrößte Spekulant und Ostwissenschafts-Wohltäter leidet jedoch, als jüdischer Weltbürger in New York wohnend, an keinem Phantomschmerz.
Und von vaterlandslosen Kommunisten darf man, fünf Jahre nach der Wende, ein annähernd freimütiges Denken erwarten, zumal die deutsche Partei der internationalen Arbeiterbewegung in Krisen stets jüdischen Genossen den Vortritt ließ – und auch gut daran tat. Hier ging es zudem ebenso konkret wie implizit um das schon fast abgewickelte Oderberger-Bad, das die Bürgerinitiative wieder „fluten“ lassen will, notfalls bis zur „Entwicklung“ der Gesamtimmobilie (als „Kunst-Bad“).
Anders als beim SEZ-Friedrichshain, das seine Benutzer gegen die Pläne des „blub“-Besitzers als Staatseinrichtung etablieren wollen, ballt sich in der Oderberger Straße, fast einzig in Berlin, genug Gemeinsinn, um das dortige Bad wirklich „von unten“ her zu kommunalisieren, vielleicht nach Art einer „Public- Private-Partnership“ (PPP – um den Agoraplanern verständlich zu bleiben). Helmut Höge
wird fortgesetzt
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