■ Normalzeit: Die „Tittenlexikon-Etage“
Das muß der dritte oder vierte Stock im Springer-Hochhaus sein. Dort an der Rezeption, wo sich immer die absonderlichsten Menschen einfinden, aufgrund der „Bild kämpft für Sie“- Kampagne, die aus den dortigen Pförtnern schon psychologisch hochqualifizierte Fachkräfte gemacht hat, gebe ich mich mitunter als ein gerade hauptstädtisch wildernder Hamburg-Journalist aus, der dringend ein Fax an seine Heimatredaktion abschicken muß.
Das Springer-Hochhaus besitzt eine eigene Fax-Abteilung, in der nur Männer arbeiten. Wahrscheinlich ehemals hochorganisierte Setzer und Drucker mit Arbeitsplatzsicherheitsautomatik, die es irgendwie nicht geschafft haben, sich auf Computer umschulen zu lassen bzw. die dann die deprimierende Erfahrung machten, daß jede dumpfe Sekretärin ihnen an der Hight- Tech hirnhoch überlegen ist.
Erst reagierten sie darauf mit Magengeschwüren, kauften sich ein neues Auto, rot und mit doppelten Auspuffrohren, das sie samstags geradezu verbissen wienerten, selbst bei Regen, dann fingen sie innerbetrieblich an zu quengeln: „Sie mobbten sich so durch“, wie die Mädels aus dem Schreibpool des sechsten Stockwerks heute eine derartige Arbeitsplatz-Neubeschreibung nennen würden, der damals allerdings noch etwas durchaus Kollektives, Arbeiterklassenschicksalsmäßiges anhaftete, weswegen Betriebsrat und die sich dann vornehm in IG Medien umbenennende Druckergewerkschaft auch noch kräftig mitmobbten.
Als Kompromiß entstand schließlich im dritten oder vierten Stock die Fax-Abteilung, in der natürlich längst Billigdienstleister (aus dem Umland) um langfristig abgesicherte Daseinsberechtigungen ringen. Kurz und gut: Einer von denen muß mich also unten beim Pförtner abholen (bei Springers darf nämlich kein Unbefugter alleine durchs Haus tigern).
Er kommt aus dem Fahrstuhl mürrisch auf mich zu, und ich lächle ihm aufs Hamburgischste entgegen. Als erstes wird der Pförtner leise angemacht: „Sie sollten doch niemanden zu uns schicken!“ Dann begleitet er mich aber freundlich nach oben, während ich mich mehrmals bei ihm entschuldige, für den Pförtner gleich mit. Oben nimmt sein Kollege mir die zu faxende Seite aus der Hand.
Stets rattern mehrere Maschinen gleichzeitig. Und das unterbrochene Gespräch findet erst mal seine Fortsetzung: „Die Blonde aus dem Neunten wird sich auch nie an die geänderten Fax-Zeiten halten ...“ „Du meinst Frau Risch? Die hat das doch nicht nötig ...“ „Meint Sie!“
Das Schönste am Fax-Raum ist die große Wand hinter den Geräten: Sie ist voll mit den täglichen Busenporträts aus der BZ, es müssen mehrere hundert sein: Was für unterschiedliche Brüste es doch gibt! Wenn man näher rantritt, kann man auch noch was dazulernen: „Gaby liebt Dreimaster, sie hat alles über diese schönen Segelschiffe gelesen ...“ Es folgen Details aus der Seefahrt. Oder: „Elke sammelt Briefmarken, sie weiß von daher, die teuerste Marke der Welt ...“ Und dann folgen nähere Einzelheiten über die Blaue Mauritius oder so was.
Diese hausintern „Tittenlexikon“ genannten Großfotos mit Kurztexten sind nicht aus der jeweiligen BZ ausgeschnitten, es handelt sich dabei um die original Druckvorlagen. Jemand aus der Fax-Abteilung, wahrscheinlich ging das reihum, muß also jeden Tag in die Druckerei rübergegangen sein, um sich die Titten des jeweiligen Tages aus dem weggeworfenen Layout rauszusuchen, wenn dies nicht schon die Drucker für sie taten, die im übrigen ihre Druckmaschinen jeden Abend auf diese Brustbilder hin feineinstellten.
Wenn das Fax übermittelt ist, frage ich die Männer: „Wieviel bin ich Ihnen schuldig?“ „Das kostet nichts“, antwortet der eine oder andere, fügt dann aber, wenn ich hartnäckig bleibe, hinzu: „Sie können ja was in unsere Bierkasse tun!“ Jetzt muß ich entscheiden, wieviel. Dabei fällt mir der Treuhand-Abwicklungsdirektor Tränkner ein, der mal als Stern-Journalist 20.000 Mark in die „Kaffeekasse“ der Stammheimer Justizbeamten getan haben soll. Er wurde deswegen verurteilt, obwohl er so viel Geld eigentlich nicht eigenmächtig als Reporter „gespendet“ haben dürfte.
Ich stecke den drei diensthabenden Fax-Betreuern fünf Mark in ihre Bierkasse. Dann bringt mich einer von ihnen wieder nach unten zum Pförtner, mit dem ich noch eine Weile über Querulanten im allgemeinen plaudere. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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