■ Normalzeit: Ausländische Störer & Falschparker
Der freie Handwerker mußte sich losreißen, er ging „auf die Stör“. Wo er Arbeit fand, machten ortsansässige Kollegen bald „Jagd auf den Störer“. Heute nennt sich das Regulationsbedarf oder Entsendungsrichtlinien-Diskurs. Der Fremde ist immer noch derjenige, „der heute kommt und morgen bleibt“ (Georg Simmel). Handarbeiter und Selbständiger sind noch unentschieden, und beide sind „Abenteurer“, ohne es sein zu wollen. Aber noch wichtiger: Die Fremden verstehen nicht, was allen anderen als selbstverständlich gilt, vor allem verstehen sie nicht, daß es nichts zu verstehen gibt.
„Dieses Unverständlichsetzen des Verständlichen und Verständlichwerden des dann nicht mehr Unverständlichen hat etwas mit Wissenschaft zu tun“, meint Unternehmensforscher Dirk Baecker. Der Fremde ist per definitionem Forscher, das macht ihn klüger als uns. Baecker geht noch weiter: „Es gibt keine Kultur, die nicht Kultur für Fremde, und dann: von Fremden, wäre. Die Kultur ist ein Unternehmen des Fremden.“
Ich verstehe diesen Gedanken sofort, wenn ich morgens nur am türkischen Kiosk am Görlitzer Bahnhof Zeitungen, Tabak und dies und das kaufe: Unglaublich, wie gut die beiden Besitzer dort immer informiert und wie flexibel sie in ihrem Angebot sind!
Wenn man wegen einer rausgefallenen Schraube am Scheinwerfer zur VW-Werkstatt geht, muffelt der Meister aus Neukölln erst einmal: Das lohnt sich gar nicht mehr, das kostet mindestens 150 Mark, plus Mehrwertsteuer, und heute sei dafür sowieso keine Zeit, morgen vielleicht... Beim alewitischen Ersatzteilhändler kostet der ganze Spaß nur 80 Mark, und dann repariert er einem den Scheinwerfer auch gleich noch – ohne Zusatzkosten und ominöse Mehrwertsteuer – sofort! Tausend ähnliche Beispiele könnte ich aufzählen – von den türkischen Gemüsehändlern im Osten, den kurdischen Imbiß- und Restaurantbesitzern usw. Dann diese so wunderbar aussehenden türkischen Mädchen, mit oder ohne Kopftuch, die sich flanierend immer mehr ins Weichbild der Stadt wagen, die in immer mehr Banken, Läden und Arztpraxen arbeiten, die immer mehr Schülerzeitungen über ihre Erlebnisse vollschreiben, die mit ihren Freundinnen oder Freunden die Cafés aufsuchen... Manchmal hat man das Glück und sieht einige Mütter, wie sie diese Mädchen aus einiger Entfernung erstaunt, aber auch ein wenig stolz anschauen, wenn sie irgendwo mal wieder besonders selbstbewußt auftreten. Das alles hat für mich etwas von einem phantastischen Coming-out. Dazu gehören auch die an Zahl zunehmenden türkischen Yuppie-Lokale, die nicht mehr für türkische Männer allein gedacht sind. Aber dazu gehören auch die ganzen Mercedesse. Vorm Café Atlas in der Oranienstraße stehen manchmal bis zu acht dieser Schlitten. Selbst der dumpfeste Ökoradfahrer oder autonome Überzeugungsfußgänger scheint zu ahnen, daß die Türken einen Mercedes allemal verdient haben. Die Luxusautovermieter weigern sich, Kreuzberg anzufahren beziehungsweise nach dorthin auszuleihen, und das ist auch gut so, aber diese Mercedesse in türkischem Besitz gehören genau hierher! (Es gibt schon den ersten diesbezüglichen türkischen Erziehungsfilm: „Mercedes mon amour“!)
Noch beeindruckender als in Kreuzberg und den Bezirken drumherum wirkt die Präsenz türkischer aber auch jugoslawischer Emigranten in Ostberliner Bezirken. Dort, wo sonst nichts passiert als Ein- oder Ausparken, vermag eine einzige Familie aus Südeuropa bereits die halbe Straße zu vitalisieren: Diese Leute können einfach mit dem öffentlichen Raum umgehen. Während Herden deutscher Doofmänner diese Räume planen, möblieren, umbauen, modernisieren, parkraumbewirtschaften etc. benutzen sie ihn einfach auf die schönste und selbstverständlichste Weise. Das reicht bis vor ihre Wohnungstür, die sie gerne offenlassen, womit sie quasi auch noch den toten Hausflur beleben. Dann das Parken in der zweiten Reihe: Immer wieder holen betroffene deutsche Nieselpriems die Bullen und die den Abschleppdienst. Dabei ist auch dieses „Problem“ so einfach und kommunikativ zu lösen: Wenn es sich um einen türkischen Autobesitzer handelt, braucht man bloß in unmittelbarer Nähe nach dem Fahrer zu fragen, und sofort kommt er raus und entläßt einen aus der ersten Parkreihe. Meist wird man dabei auch noch aufs angenehmste in einen kleinen Schwatz verwickelt. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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