piwik no script img

■ NormalzeitErlebnisshopping in Schmachtenhagen

Die LPG „Völkerfreundschaft“ in Schmachtenhagen bei Oranienburg war zu DDR-Zeiten eine ziemlich normale „Kolchose“. Agraringenieur Siegfried Mattner war ihr letzter Vorsitzender. Heute heißt die Milchviehanlage „Agra GmbH“, beschäftigt vierzig Mitarbeiter, und der von den Gesellschaftern gewählte Geschäftsführer heißt Siegfried Mattner. In der hektischen Phase der „Umwandlung“ war er oft schneller als die Gesetze. 90 Prozent der einstigen Landeinbringer verpachteten ihm erneut ihre Flächen: 1.500 Hektar. Für 1,8 Millionen Mark wurden neue Geräte angeschafft, für den Kredit bürgte das Land. Es wurde eine Futtergetreide-Mühle angeschafft, zur Versorgung der drei Kuhherden mit je hundert Kühen, für die jeweils ein Mitarbeiter verantwortlich ist. Er bekommt im Leistungslohn 4,5 Pfennig für den Liter, das macht ungefähr 4.000 Mark im Monat bei circa 7.000 Litern im Jahr pro Kuh. Die Agra GmbH vermarktet etwa 4.000 Liter täglich selbst – in einer eigenen Molkerei, die 1,5 Millionen Mark kostete: Mit den Milchprodukten werden sämtliche Marzahner Kitas, daneben aber auch Krankenhäuser und Schulen in anderen Bezirken direkt beliefert. Für die Schulen ließ der Agra-Geschäftsführer extra vierzig Milch- und Schoko-Automaten entwickeln. Seine Tochter, eine Pferdewirtin und preisgekrönte Bodybuilderin, die demnächst Polizistin wird, baute derweil einen Spanferkel- Vertrieb auf, den ihre Mutter jetzt weiterführt. Diese betreibt neben der Hof-„Kantine“ auch noch einen Bierstand, an dem tschechisches LEV-Bier aus Königsgrätz verkauft wird, für sagenhafte 75 Pfennig die Flasche. Mattner sicherte sich dafür die deutschen Exklusivvertriebsrechte. Der Bierstand steht freitags und samstags auf dem Hofgelände seiner Agra GmbH, wo dann ein Abholmarkt stattfindet, der „Bauernmarkt Oberhavel“ heißt und immer beliebter wird – bei Direkteinkäufern wie Händlern. Die junge Milchkontrolleurin veranstaltet dann Stallführungen, es gibt Hühner mit beruhigender Bodenhaftung, Pferde, Ziegen und Schafe zum Streicheln und eine komplette Rinderkleinfamilie zur Dekoration. Dazu Flechtwaren, Imkerei- und Fischereierzeugnisse sowie Obstsäfte und Fleischerzeugnisse. Über die Publizität seines Bauernmarktes kann sich Siegfried Mattner nicht beklagen, nur als ein Zirkus ihm neulich gegen Futterspenden eine kostenlose Elefanten-Attraktion bescheren wollte, gab es Ärger: die ausgehungerten Tiere fielen sofort über die Biogemüse-Stände her. Helmut Höge

wird fortgesetzt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen