■ Normalzeit: Kunst am Investment
Die Produktivität der Künstler resultiert aus ihrer moralischen Schwäche, ihrer Verkommenheit – aus ihrer Fähigkeit, sich den verschiedenen Zeitströmungen anzupassen –, so ein 1953 nach New York emigrierter deutscher Künstler. Später übernahm das Zitat „Hitler“-Biograph J. Fest. Noch später, nämlich neulich, fiel mir der Satz wieder ein – bei einem kleinen Resümee der Nachwende-Künstleraktivitäten in dieser Stadt: Trotz großer Nolympic-Sympathie begeisterte sich 1991 eine große Zahl von ihnen für den Wettbewerb „Kunst für Olympia“, der von einer ehemaligen taz-Kulturredakteurin kuratiert wurde. Als sich das zerschlug, widmete man sich kurz dem öffentlichen Werben für mehr Atelierräume, dann rückte auch schon der Einsendeschluß des Wettbewerbs für das Holocaust-Denkmal von Lea Rosh näher. Dabei kam es dann zu einer Rekordbeteiligung.
Alle Bande frommer Scheu haben die hiesigen Künstler allerdings erst jetzt verloren, wo die hauptstädtischen Investoren angesichts immer mehr leerstehender Dienstleistungscenter zum „event-Marketing“ übergegangen sind und bereits ihre Grundsteinlegungen als Top-Ereignis feiern – flankiert von einer zunehmenden Schar bildender Künstler: Man spricht bereits von „Kran-Kunst“, das ist die Kunst, mehr oder weniger heftig Kräne und Bagger ins Zentrum des eigenen Oevres zu stellen. Von der neuen Kranwelle werden die Marketingabteilungen der großen Bauträger derzeit geradezu überschwemmt. Herausragend: Rainer Fettigs „Kräne“, Ulrich Baehrs „KranZeit“ und H.H. de Veres auf der „Ersten Berliner Bauzaunausstellung“. Ferner die SFB-Dokumentation über den Schwimmkran am Potsdamer Platz sowie das Langzeitfeature über die Fundamentierung am Checkpoint Charlie und den einfühlsamen MDR-Kommentar über die neue Einsamkeit der alten Kranfahrer.
Erwähnt sei noch die Baggerscharade am Zoo bei Teppich Kibek sowie die neue „Hotelkunst“ von Dokupil und anderen Wilden. Aber auch die Fotografen sammeln sich zunehmend auf den an den großen Baustellen aufgestelzten Beobachtungsplattformen, ebenso in der roten „Info- Box“ am Potsdamer Platz. Schon morgens in aller Frühe sieht man die ersten HDK-Studenten mit Papier und Tusche an den Baustellen Stahlarmierungen porträtieren.
Und fast täglich druckt der Tagesspiegel das Foto einer Baustelle im Abendrot oder mit Gewitterwolken. Wie Morgenpost und Berliner Zeitung hat der Tagesspiegel bereits eine eigene „Immobilien“-Redaktion eingerichtet, denen nun regelmäßig der investoreneigene Zweckoptimismus das geeignete Mittel für vernünftiges Zeilenmaß ist. Auch die taz zehrt von Immobilien, ihren eigenen. In den Reihen ihrer Mitarbeiter hält dafür unvermindert der Drang zur eigenen Datsche hinterm Speckgürtel an. Als charakterfest gilt bereits, wen es am Wochenende nach wie vor ins Wendtländische zieht. Die ersten gutverdienenden Linken haben schon den Hausbesitzerärger mit Mietern und Mitbewohnern derart satt, daß sie mit Investitionen in Windkraftanlagen liebäugeln. All diesen künstlerisch-intellektuellen „Projekten“ und Geldaufreißinitiativen sei die Biographie des New Yorker Immobilienhechts Donald Trump empfohlen: „The Art of the Deal“. In ihr wird das konzeptuell ausgearbeitet, was Andy Warhol seinerzeit bloß behauptet hatte: „Good Business is the Finest Art!“
Früher war alles besser: Da gab es bei jedem Projekt automatisch 10 Prozent für „Kunst am Bau“. Diesen Posten haben längst die Architekten geschluckt, die damit präpotente Eingangsbereiche oder postmodernen Schnickschnack schaffen, bei all den Effektivitätszwängen häufig ihr einziger „Spielraum“. Die Künstler waren damals freilich auch nicht charakterfester: „In der Roten Fahne stand noch ,Wir werden siegen‘, da hatte ich mein Geld schon in der Schweiz“, so formulierte es einmal Bertold Brecht – und kam sich dabei noch ziemlich clever vor. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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