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■ NormalzeitArbeitskämpfe auf Unternehmerniveau

Besonders im Osten mehren sich die Klagen von Arbeitnehmern über Einschüchterungsversuche, ungerechtfertigte Entlassungen und absurde Abmahnungen seitens ihrer Arbeitgeber. Allein in der thüringischen DGB- Rechtsstelle wurden bisher über 70.000 Verfahren registriert. Ein Bauarbeiter wurde z.B. abgemahnt, weil er seine Bohrmaschine nicht in den Werkzeugkoffer zurückgelegt hatte, Lkw-Fahrer, weil sie ihre Fahrzeuge nicht sauberhielten. Ein Westunternehmer in Erfurt ermahnte gleich in toto seine 86 Beschäftigten „wegen Schlampereien und ständiger Unzuverlässigkeiten“. Am Schluß fügte er noch die Drohung hinzu: „Sollten Sie sich tatsächlich dazu veranlaßt sehen, zum Arbeitsgericht zu marschieren, so können Sie sicher sein, daß dies gebührend gewürdigt werden wird.“

Den Bock an kapitalistischer Dumpfherrlichkeit schoß jetzt ein Westberliner Unternehmer namens Buchwald ab. Er hatte das Druckhaus und die Edition Hentrich übernommen und war daraufhin wegen seiner Rationalisierungsmaßnahmen wiederholt mit der Betriebsratsvorsitzenden Konstanze Lindemann aneinandergeraten, die er daraufhin mehrfach abmahnte. Die aktive IG-Medien-Gewerkschafterin arbeitete daneben noch in einem Autorenkollektiv mit, das ein Buch über den Verlag und die Druckerei Ullstein aus der Sicht der Beschäftigten zusammenstellte. Dieses Buch wollte der ehemalige Verleger G. Hentrich veröffentlichen, sein Nachfolger Buchwald teilte den Autoren dann jedoch mit: Nur wenn sie Frau Lindemann aus dem Herausgeberkreis streichen würden, könne das Buch noch in der Edition Hentrich erscheinen. Die Gruppe suchte und fand statt dessen einen neuen Verleger: den Ostberliner trafo-Verlag. Anschließend berichtete Konstanze Lindemann darüber in der IG- Medien-Zeitung Sprachrohr, wobei sie Buchwald als „Neu- und Möchtegern-Verleger“ bezeichnete. Der geriet darob so in Rage, daß er die Kündigung von zehn Mitarbeitern seiner Druckerei androhte. Konstanze Lindemann trat daraufhin nach einer Belegschaftsversammlung als Betriebsrätin zurück – und wurde sogleich entlassen. Am 12. Januar traf sie nun Buchwald vor dem Arbeitsgericht wieder – es ging um ihre Wiedereinstellung als Druckerin. Buchwalds Anwalt vom Arbeitgeberverband der Druckindustrie führte zur Begründung der Kündigung aus: Herr Buchwald sei „beleidigt“ worden, wegen der Betriebsrätin müsse er sich bereits „ärztlich behandeln“ lassen, außerdem sei ihm ein „Schaden von einer Million Mark“ entstanden, weil die Edition Hentrich der Druckerei Hentrich Aufträge in dieser Größenordnung entzogen habe.

Das muß man sich noch einmal durch den Kopf gehen lassen: Beide Firmen gehören Buchwald – und die eine entzieht der anderen Aufträge! Buchwald selbst fügte noch hinzu: „Wir haben hier eine Auseinandersetzung mit einer niederträchtig handelnden Mitarbeiterin. Ich arbeite 16 Stunden am Tag, um diesen Verlag hochzubringen, und lasse mich nicht anpinkeln.“ Das brachte ihm erst einmal eine Abmahnung durch den Richter ein, der außerdem die Augenbrauen hob, als er abschließend vom Anwalt der Klägerin noch erfuhr: Der Unternehmer habe den verbliebenen Betriebsräten gedroht, wenn sie ihren Einspruch gegen die Kündigung von Konstanze Lindemann nicht revidierten, würde es zu weiteren Kündigungen kommen – woraufhin die Betriebsräte prompt den „Einspruch“ zurückzogen und die Kündigung nur noch „zur Kenntnis“ nahmen. Der Arbeitsgerichtsprozeß wird am 2. April fortgesetzt. Helmut Höge

wird fortgesetzt

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