■ Normalzeit: Old Philosopher as young Developer
Am OSI bekommen zunehmend Marketingmanager „Politik“-Lehraufträge. Und im Foyer der Humboldt-Universität hängt die 11. Marxsche These „Die Philosophen haben bis jetzt die Welt nur interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Sie bezieht sich auf die Feuerbach-Sentenz: „Ich bin nur der Interpret der Religion, die die entfremdete Projektion des menschlichen Wesens ist, also der menschlichen Welt, es kommt darauf an, sie zu verändern.“
Das ist sehr bescheiden gedacht – und bürdet den Philosophen nicht die Verantwortung für die Weltordnung auf, nach der die Marxisten dann geradezu gierten: „Jede Philosophie ist Politik“ heißt es z. B. bei Antonio Gramsci. Für den Philosophen Althusser fiel solche „Radikalität“ noch hinter Feuerbach zurück: „Der Primat der Praxis ist das erste Wort jedes Idealismus.“
Hier und jetzt bekommen wir es jedoch mit einem ganz neuen Theorie-Praxis-Verhältnis zu tun: das sogenannte Bauherrenmodell der Welt. Es gibt kaum noch einen Großinvestor, der nicht von einer „Philosophie“, von seiner „Firmenphilosophie“ oder von einem „philosophischen Mix“ redet, wenn er seine „Projekte“ vorstellt.
Zitiert sei aus der „Unternehmensphilosophie“ des Geschäftsführers des Business Center Checkpoint Charlie, Abraham Rosenthal: „Richtungweisende Architektur an Zukunftsstandorten, hohe Qualität vom Konzept bis ins Detail und Effizienz bei Flächen und Kosten.“ Das ist geradezu erfrischend kurz, klar und wahr und zeigt überdies, daß auch jüdische Philosophen regelrechte Flachpfeifen sein können.
Weitaus verschwiemelter klang es jedenfalls, wenn sich die dazumaligen Treuhand-Manager Günter Rexrodt und Birgit Breuel als „Philosophen“ enttarnten und dunkel von „Treuhand-Philosophie“ und der „Philosophie hinter der Privatisierung“ faselten. Es steckte jedoch nie mehr dahinter als das, was mir neulich mein Zeitungshändler verriet: „Die sich am besten verkaufenden Titel lege ich ganz vorne hin – das ist meine Verkaufsphilosophie!“ Vielleicht meinte er „Psychologie“?
Aber das ist schon lange ein und dasselbe geworden – seit 1934 bereits, wenn man John Kenneth Galbraith glauben darf, der über die Anfänge der New- Deal-ABM schreibt: „Nichts wurde, damals wie heute, von den Wirtschaftsleuten mehr betont als die Bedeutung der eigenen Stimmung.“
Im Nachwende-Deutschland geht das so weit, daß die Wirtschaftsforschungsinstitute der Regierung nicht einmal mehr die Worte benutzen dürfen, die eine negative Tendenz „signalisieren“ könnten. „Sie haben den Horizont nach einem Silberstreif abzulutschen – das ist deren Philosophie!“ So sagte es ein aus dem neuen Forschungsinstitut in Halle ausgeschiedener Ost-Wissenschaftler. „Psychologie“ und „Philosophie“ sind überdies identisch geworden mit (militärischen) „Strategien“: „Bei Daimler geht unsere Philosophie dahin ...“ (Deutschbank-Chef Hilmar Kopper).
Der Treuhand-Privatisierungsdirektor Wolf breitete mir einmal – statt die Raffgier eines von ihm eingesetzten Geschäftsführers in einer Installationsfirma zu erklären – ausführlichst seine „Philosophie“ als ehemaliger „68er“ aus. Wir unterhielten uns prächtig, ich war nicht „peinlich berührt“ wie noch der Religionsphilosoph Klaus Heinrich 1964, weil sich da einer selbst „einen Philosophierenden“ nannte, die „Philosophie“ jedoch „kein Inbegriff oder Produkt von Fertigkeiten“ ist und es von daher „nur das philosophische Moment des Gedankens gegenüber seiner Leugnung oder Beschwichtigung gibt“.
Längst nannten sich die meisten 68er mit Lehrambitionen „Philosophen“: Weibel aus Wien oder Kallscheuer aus Schöneberg z. B., letzterer fügte am Ende seiner FR-Artikel auch immer noch gerne hinzu: „Lebt in Paris und Berlin“.
Der Privatisierungsdirektor Wolf bezeichnete sich im übrigen nicht explizit als „Philosophen“, dafür veränderte er aber die Welt – als „Mann der Praxis“ – wirklich! Dennoch gilt auch und gerade für ihn Robert Musils Diktum: „Ohne Philosophie wagen es heute nur noch Verbrecher, anderen Menschen zu schaden!“ Helmut Höge
wird fortgesetzt
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