■ Normalzeit: Die Herr-Knecht-Boden-Trialektik
In Polen wundert man sich darüber, daß Regierung wie Opposition zur Drosselung der Hyperinflation und zur Reform der Wirtschaft auf dieselben Konzepte der Universität von Chicago zurückgreifen wie die Regierung und die Opposition in Brasilien und Rußland. „Wenn das gleiche Wirtschaftsprogramm überall Anwendung findet, ohne die sozialen und kulturellen Unterschiede zu beachten, dann muß es zumindest in einigen dieser Länder mit einem Fiasko enden“, meint der Historiker Karol Modzelewski.
In der ostdeutschen Wirtschaft findet dagegen in der dort fast einzig noch übriggebliebenen Landwirtschaft eine regionalistische Rückkehr zu den Idiotien des Landlebens vor dem Nationalsozialismus statt – die ebenfalls in einem Fiasko enden könnte: Unter der Adels-Leitung der Treuhand-Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft kommen dort immer mehr kleinbäuerliche Neueinrichter und adlige Wiedereinrichter – gegen die LPG-Nachfolgeorganisationen – zum Zuge: Selbst wenn jene Wirtschaftskonzepte vorlegen, die an Dürftigkeit und Haltlosigkeit nicht mehr zu überbieten sind.
Obwohl oder vielmehr weil die Kolchosen bereits eine Marktorientierung erreicht haben, die sie von Agrarsubventionen unabhängiger machen könnte, wird den primitiven Neukrautjunker- und ebenso blutidealistischen Vater-Sohn-Betriebskonzepten zunehmend der Vorrang gegeben – und damit ihnen die Scholle übereignet. Dabei hat sich inzwischen längst ein Betriebswirtschafts- denken in der Landwirtschaft herausgebildet, das ebenso wissenschaftlich wie internationalistisch ist.
Es geht nicht mehr um Tradition und Boden, sondern um Märkte und Konsumwünsche. „Das große Problem der Bauern ist die Vermarktung“, meint zum Beispiel Ulli Fronmeyer von der „Grünen Woche“. Die Absatzprobleme verlangen zunehmend eigene Weiterverarbeitungsmöglichkeiten und entsprechend komplizierte Eigentums- und Wirtschaftsformen. Die Kolchosen sind nicht erst seit gestern Teil eines solchen agrarwirtschaftswissenschaftlichen Netzwerkes.
Aber es gibt eine starke Lobby, die etwas anderes im Osten will: Die selbstausbeuterischen Neueinrichter sollen nach rumänischem und polnischem Vorbild Pioniere einer völligen Auskopplung aus dem Markt werden. Auf den altadligen Gütern dazwischen sollen dagegen die genügsamen Rußlanddeutschen Rekordernten einbringen.
Die Anwälte und Berater der Kolchosen, obwohl meist – wie viele ihrer Gegner auch – aus Westdeutschland, berichten fast übereinstimmend: „Wenn es um Blut und Boden geht, verstehen die Deutschen noch immer keinen Spaß!“
In diesem Zusammenhang hat man die Abwicklung der Agrarwissenschaft an der Humboldt- Universität wie den Protest der Brandenburger Agrarverbände dagegen zu verstehen. Und natürlich auch den Vorschlag eines Standortsicherungsverwahrungsgesetzes, um die Rußlanddeutschen im Osten festzusetzen. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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