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■ NormalzeitLafayette als Ersatz-Palast der Republik

Der Nürnberger Marxist Robert Kurz schlägt regelmäßig Klarheit ins Dickicht des Wirtschaftslebens, damit zugleich in die inzwischen computergestützte Wirtschaftstheorie, die derzeit ziemlich ratlos ist. Auch Kurz' Resümee, daß beim jetzigen Stand des Sozialabbaus das Bündnis für Arbeit eher aufgekündigt gehörte als zum revitalisierungswerten Gut erklärt zu werden, läßt nichts zu wünschen übrig.

Und doch hat sich das Proletariat anscheinend entschieden, es noch einmal im Guten zu versuchen. Der Ort dafür ist in Berlin zur Zeit das Kaufhaus Lafayette.

Sein Name bezieht sich auf den im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ausgezeichneten Kavalleriephilosophen Marie Joseph de Motier de Lafayette, der im August 1789 in der Konstituierenden Versammlung Frankreichs die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zur Verabschiedung brachte: „Das berühmteste politisch-juristische Dokument des europäischen Bürgertums“, wie es in meinem „Marxistisch-leninistischen Wörterbuch der Philosophie“ heißt. Vom Stammhaus Lafayette schwärmten meine Eltern schon Ende der fünfziger Jahre, ohne daß sie dort je von ihrem Recht auf Konsum Gebrauch machten.

Im Osten geht man jetzt sogar noch einen Schritt weiter: Nicht nur, daß dort durch massenhafte Begehung der Lafayette-Filiale in Mitte eine Art autorenloser – postmodern-uneitler – Christo- Effekt erzeugt wird, darüber hinaus haben die Leute auch noch angefangen, Geldstücke in den gläsernen Lichttrichter zu werfen: Das soll angeblich Glück bringen! Zumindest dem Lafayette-Geschäftsführer, wenn er die eingesammelten D-Mark-Münzen denn nach Paris überweist. Dem Tagesspiegel-Autor Medicus war diese Praxis anscheinend zu magisch, denn er forderte die Besucher auf, auch ganz sinnlich-konkret die Ware, die an sich schon voller „metaphysischer Mucken“ steckt, zu „kaufen, kaufen, kaufen!“ – „Das Privateigentum hat ihn so dumm und einseitig gemacht, daß ein Gegenstand erst der seine ist, wenn er ihn hat, besitzt“ – würde mein „Marxistisch- leninistisches Wörterbuch“ dazu sagen: „Es gibt leider kein besseres“, wie seinerzeit bereits Alfred Sohn-Rethel über dieses dreibändige Philosophienachschlagewerk der DDR urteilte.

Der ehemalige Feuilletonchef des Tagesspiegel, Schulz, war da schon näher dran – an der Schnittstelle zwischen Magischem und Virtuellem: als er behauptete, die per Faxflugblatt aufgebaute Front zwischen den französischen Kaufhausbetreibern und der Polizei auf der einen und linker Konsumkritik plus autonomer Randaleplünderer auf der anderen Seite würde einen alten Begriff von Urbanität (mit Präsenzpflicht) wiederbeleben, der im Informationszeitalter überholt sei. Tatsächlich war die ganz friedliche Erstürmung des Lafayette dann eher ein Protest gegen alle vereinsamenden Nutzeroberflächen. Ähnlich der vor Jahren bereits von Baudrillard analysierten Massenakzeptanz des Centre Pompidou – in der es nicht mehr um die Frage ging, wie man die Kunst den Massen näher bringt, sondern wie man sie vor ihnen schützt.

Darum wird es jetzt auch im Lafayette gehen: Schon verlieren die ersten diätjoghurtfarbenen Modeaccessoires und Dessous ihr provencalisches Leuchten – durch den schlechten Atem von Zehntausenden, und auch die Pariser Olala-Parfümflakons sehen bereits ganz matt, VEB-farbenmäßig aus – vom vielen Angrabschen. Hier erwartet der Berliner zu Recht schnellere Umdekorierungszyklen von der Lafayette- Führung. Virtuell verhält sich das Individuum vor allem in der Masse: virtuell befreit nämlich. Die Parole dafür könnte lauten: „Wir treffen uns so lange im Lafayette, bis der Palast der Republik wiedereröffnet wird!“ Damit würde sich auch gleich die Geschichte dieses berühmten französischen Menschenrechtlers aufs trefflichste ründen. Helmut Höge

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