■ Normalzeit: Im Westen nichts Neues!
„People come, people go, and talk of Michelangelo“ (T. S. Eliot). Hier und heute sind es die Developer und Politiker. Man erinnert sich: „Das Kapital ist ein scheues Reh“, mit diesem Rohwedder-Bonmot, das bald sämtliche selbsternannten Ostwirtschafts-Experten nachplapperten, fing es an. Es folgten „Ärmel hochkrempeln“ (Biedenkopf), „Mit Augenmaß“ (Späth), „Zähne zusammenbeißen“ (Pieroth), „Das Tal der Tränen durchschreiten“ (Stolpe), „Es geht bergauf“ (Breuel), „Wir müssen Schnitte vornehmen“ (Copper), „Der Mensch steht im Mittelpunkt, natürlich sind die Fakten wichtig“ (Pierer) und so weiter.
Daß darüber hinaus jeder Idiotentreff als ein „Jahrhundert- Ereignis“ (Diepgen) gefeiert und alle denkbaren Geräte-Metastasen gleich als „Revolution“ verkauft werden (so wurde zum Beispiel gerade eine sensorausgerüstete Lampe in Waltersdorf als „Die Revolution in der Flurbeleuchtung“ bezeichnet) – daran hat man sich inzwischen gewöhnt. Bereits Jerry Rubin hatte dieses in den USA seit dem 18. Jahrhundert endemisch gewordene Werbewort 1967 veranlaßt, es als besudelt fallen zu lassen. Andersherum hatte mich Ulrich Sonnemann 1973 einmal kritisiert, als ich leichthin über einige neuerliche SED-Bescheuertheiten gemeint hatte, man könne noch zum Antikommunisten werden: „Man darf die Begriffe nicht den Gegnern überlassen“ – damit meinte er den „Kommunismus“.
Und was ist mit den „Berlinern“, die einem von den Schreiberlingen bei BZ und Bild systematisch vermiest werden („Berliner jubelten Reagan zu“, „Berliner wollen Olympiade“, „Berliner gegen Randale“)? Kopka von der Wochenpost hatte neulich mal eine kurze Serie „Arme Berliner“ mit diesen Springer-Schlagzeilen angefangen: „Berlinerin von Hai getötet“, „Vier Berliner vor Mallorca ertrunken“, „Zwei Berlinerinnen in Rom ausgeraubt“ usw. In Kopkas Reihung konnten sie einem fast wieder sympathisch werden.
Den Vogel schossen jetzt die Erbarmer ab – also meine Kranken-, nicht Gesundheitskasse (!): die „Barmer“. In ihrer gleichnamigen Mitgliederzeitschrift findet sich unter einem deprimierenden Foto vom Vorsitzenden sowie vom Vorstandsvorsitzenden, die beide entnervt an einem Konferenztisch vor einem vollen Sprudel-Flaschenhalter sitzen, der halbfette Hinweis: „gegen Zerschlagung freiheitlicher Strukturen“. Das muß man sich mal vorstellen! Es geht dabei übrigens um eine Zurückweisung der „Regionalisierung“, die nach Meinung meiner Barmer den Bundesländern mehr Einfluß auf ihre Konzernpolitik einräumt.
Der nächste Schock traf mich, als ich neulich im Wilmersdorfer U-Bahnhof „Hohenzollernplatz“ ausstieg: Statt Werbung lauter Fotos von der Hohenzollernburg („Eingangstür zum Rittersaal“, „Aufgang zum Ahnengaleriesaal“, „Außentoilette“ usw.) – der ganze U-Bahnhof war eine einzige Louis-Ferdinand-Dumpf- Gruft. Aber das schlimmste kam noch, als ich auf den Hohenzollerndamm trat: Überall standen gelbe Wahlschilder, mit denen die CDU-Wilmersdorf für die Fusion der Regionen Berlin und Brandenburg warb – und zwar mit dem Spruch „Ein christliches Preußen“. Wie ich dann erfuhr, hatten die Wilmersdorfer Watschenmänner hier aber den Bogen eindeutig überspannt: Sämtliche Leute, die ich danach fragte und die bis zu dieser Plakataktion noch unentschieden in ihrer Wahl gewesen waren, sprachen sich eindeutig, ja geradezu wirsch gegen die „Länder-Fusion“ aus! Einen ähnlichen Effekt hatten zuvor bereits die stadtweit geklebten Pro-Fusions-Plakte mit den beiden häßlichen Weißwurst-Babys (SPD und CDU) gehabt, wie Alexander Osang gerade in seiner wunderbaren „Freitag nach eins“-Kolumne in der Berliner Zeitung glaubhaft berichtete – hämisch, wenn ich das richtig gelesen habe. Trotz eines Über- 10.000-Mark-Gehalts bleibt Osang anscheinend der gemeine Ostler, der sich noch über jede hochgesülzte Pleite oder Panne freuen kann – so als wäre das für sich bereits ein Triumph des gesunden Menschenverstands. Helmut Höge
wird fortgesetzt
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen