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■ NormalzeitDie Berliner Verwaltungsreform

... anhand eines hervorragenden Beispiels

„Das Boot: Vor einiger Zeit verabredete der Berliner Senat mit den Japanern, daß jedes Jahr ein Wettrudern mit dem Achter auf der Spree ausgetragen werden soll. Beide Mannschaften trainierten im Schweiße ihres Angesichts lange und hart, um ihre höchste Leistungsfähigkeit zu erreichen. Als der große Tag des Wettkampfs endlich da war, waren die beiden Mannschaften topfit. Die Japaner gewannen mit einem Kilometer Vorsprung.

Nach dieser Niederlage war das Senatsteam sehr niedergeschlagen und seine Moral auf dem Tiefpunkt. Das obere Management beschloß, den Grund für die vernichtende Niederlage herausfinden zu wollen. Eine Projektgruppe wurde eingesetzt, um das Problem zu untersuchen und geeignete Maßnahmen zu empfehlen. Die Untersuchungen ergaben, daß die Japaner mit acht Leuten ruderten und nur einer steuerte; beim Berliner Senat ruderte einer und acht steuerten.

Das Management engagierte eine Beratungsfirma, um eine Studie über die Struktur des Senatsteams anfertigen zu lassen. Für nur wenige Millionen Mark Honorar kamen die Berater zu dem Schluß, es steuerten zu viele und es ruderten zu wenige.

Um einer Niederlage beim nächsten Rennen vorzubeugen, wurde auf Empfehlung einer zweiten Beraterfirma die Teamstruktur geändert. Es gab jetzt einen Ruderer, vier Steuerleute, drei Obersteuerleute und einen Steuerdirektor. Der Aufgabenbereich des Ruderers wurde erweitert; es wurde ihm mehr Eigenverantwortung übertragen. Ein Leistungssystem wurde eingeführt, um dem Ruderer Ansporn zu noch mehr Leistung zu geben.

Die Japaner gewannen das nächste Rennen mit zwei Kilometern Vorsprung.

Der Berliner Senat entließ die Sportler wegen schlechter Leistung, verkaufte das Boot und stoppte gleichzeitig alle Investitionen für ein neues, leistungsfähigeres Boot. Das eingesparte Geld reichte für die Beförderung des Steuerdirektors und der drei Obersteuerleute.

Den Beraterfirmen wurde eine lobende Anerkennung für ihre hervorragende Arbeit ausgesprochen.“

(Text eines Flugblatts, das zuerst unter den Mitarbeitern des Bezirksamtes Steglitz kursierte und dann langsam nach Mitte wanderte, von wo aus es schließlich über das Bezirksamt Marzahn auch nach Friedrichshain gelangte. Dort kopierte es sich eine Mitarbeiterin des Sozialbetriebs „Brücke“ in der Warschauer Straße und hängte es an das Schwarze Brett, von wo aus es dann über den Kopierer des Vorzimmers der Geschäftsführung in meinen Besitz gelangte.

Der Abdruck hier erfolgt ohne Genehmigung des anonymen Autors, ihm sei nichtsdestotrotz gedankt.) Helmut Höge

wird fortgesetzt

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