■ Normalzeit: Alte und neue Abhängigkeiten
Viele, sauber von unten organisierte „Projekte“ neigen dazu, dem Markt auszuweichen. Sie scheinen den staatlichen Finanzströmen mehr zu vertrauen als einer tröpfelnd-wachsenden Zahl von Privatkunden. Besonders bei ökologisch ausgerichteten Betrieben ist es oft der Fall, daß sie neben „Hightech-Know-how“ vor allem die Fähigkeit entwickeln, Projektanträge erfolgreich auszufüllen. Wohingegen ihnen der Vertriebs- und Marketing-Witz eher abgeht – und sie von daher zum Beispiel die „Ja-Treppe“ für erfolgreiche Verkaufsverhandlungen oder Kawasakis „Kunst, die Konkurrenz in den Wahnsinn zu treiben“ für perverse Party- Gags halten.
Zu den erfolgreichsten „Projekten“ in Nord-West-Brandenburg zählt neben der LPG Lenzen mit 300 Beschäftigten das Gutsschloß-Projekt in Streckentin, das vom „Verein für Naturschutz“ betrieben wird. Den Gutsherrn hatte die Rote Armee 1945 erschossen. Das Anwesen gehört heute der Gemeinde, die es mit ABM und ortsansässigen Gewerken sanierte. Neben dem Schloß und dem Park umfaßt das Projekt noch eine ebenso liebevoll renovierte Wassermühle, ein Armeeobjekt und den Pferdestall. Letzteren übernimmt der Reitverein, in das Schloß kommt außer der Verwaltung und einer Multimedia-Gruppe noch ein Weinkeller mit Küche. Die zwei Scheunen werden zu einem Schulungs-Mehrzweckgebäude umgebaut. Bildungsträger ist das „ZHD“ in Fulda, der Verein kooperiert zudem mit der Universität Potsdam, „Bereich Umweltbildung“. Mit einbezogen ist ferner die „Agrargenossenschaft Sadenbeck“, deren Geschäftsführer Dr. Franke u. a. auf Flachsanbau und -weiterverarbeitung orientiert ist, ferner der Verein „Energie Dezentral“, der Windenergieanlagen aufstellte. Überhaupt hat man hier, wie auch in Lenzen, den Eindruck, daß ein wesentlicher Teil des Projekts in der Verknüpfung mit anderen, auch ausländischen Institutionen besteht. So gab es z. B. schon Veranstaltungen für Ingenieure aus Namibia und aus Nicaragua. Dabei wurde den Beteiligten u. a. schlagartig die Notwendigkeit von induktiven Methoden klar: Die Wahrheit muß konkret sein. Bei den Nicaraguanern verstand man lange Zeit ihre Abwehr gegenüber Biogastechnologien nicht, bis man dahinter kam, daß sie es bloß von ihrer Erziehung her ablehnen, sich derart hingebungsvoll mit Scheiße zu beschäftigen.
Das Streckentiner Schloßprojekt muß sich für seine Ausbauvorhaben immer wieder neu um staatliche Förderungen bemühen, was jetzt, nach Verabschiedung des „Sparpakets“ und der ABM-Kürzungen, schwer geworden ist. Deswegen werden einige Ausbaupläne vielleicht erst einmal wieder Utopie. Auch in der DDR gab es in den siebziger Jahren Stadtflüchtige, anders als in der BRD wurden sie staatlicherseits auf dem Land meist reintegriert, mindestens aber – wie die Künstlergruppe GRAF in Rosenwinkel – bespitzelt. In der Prignitz sitzen solche Leute heute vielfach mit alten umpositionierten Spezialistenkadern im selben Boot – man könnte es Kulturmanagement nennen.
Schwierig wird es, wenn die spärlicher fließenden Gelder vom Arbeitsamt primär dafür ausgegeben werden, nur solche Projekte zu fördern, die sich entweder „ausgründen“ wollen oder an bestehende Privatfirmen ankoppeln lassen, um dann übernommen zu werden. Wie der Arbeitsamtsleiter meinte, hat es bei den derzeitigen ABM-gestützten Betriebspraktika z. B. zu wenig „Klebeeffekte“ gegeben, und nicht nur das, es ließ sich sogar ein „Mitnahmeeffekt“ bei vielen Betrieben beobachten: Dabei werden Arbeitsplätze sogar eingespart, indem man sich immer wieder übers Arbeitsamt aushelfen läßt! Der „Erste Arbeitsmarkt“ ist jedoch noch instabil: Erst kürzlich meldeten etliche Baugewerbebetriebe, darunter der Blumenthaler Betrieb „Holz-Art“ von Jentsch (Vater & Söhne), Konkurs an. Was brummt, ist die Rosenwinkler Dorfkneipe „Meikel's Taverne“, die aber auch wirklich konkurrenzlos interessant ist. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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