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■ NormalzeitInterspezielle Metamorphosen

Was Roland Barthes in Tokio nur auf dem Foto gelang – die physiognomische Sinnisierung, passierte dem Berliner Philosophen Dr. Mann real: Er war als deutsch-jüdischer Widerstandskämpfer vor den Nazis nach Shanghai geflüchtet und später Professor an der Universität Peking geworden. Im Zusammenhang der Kulturrevolution kehrte er nach Ostberlin zurück – und sah plötzlich chinesisch aus.

Ein anderer Shanghai-Emigrant, der Architekt Paulig, brachte 1953 chinesisch-inspirierte Schmuckelemente an den Gebäuden der Ostberliner Stalinallee an.

So ähnlich – jedoch mehr sozialgeographisch – hat man sich auch das Einwirken von Namen auf ihre Träger vorzustellen: In der Treuhand/BvS arbeiteten auffallend viele Manager, die „Wolf“ oder „Fuchs“ hießen (Wolf Klinz, Günter Wolf, Dr. Fuchs und so weiter), während auf der anderen Seite merkwürdig viele Betriebsräte Gottlieb, Lammfromm oder sogar (wie bei Siemens) Arno Feige hießen. Erwähnt sei ferner der Orwo-Betriebsratsvorsitzende Hartmut Sonnenschein.

In Japan gibt es mehrere tausend heilige Schreine. Im Inari- Tempel von Fushimi wird der Fuchs verehrt – vor allem von Kaufleuten, für die „der Fuchs listig, gerissen und schlau ist“. Es werden ihm kleine Vögel geopfert, die die Pilger dort am Spieß braten – und sogleich im Garten des Schreins verzehren. Noch bei Niccolo Machiavelli heißt es: „Wenn sich also ein Herrscher gut darauf verstehen muß, die Natur des Tieres anzunehmen, soll er sich den Fuchs und den Löwen wählen, denn der Löwe ist wehrlos gegen Schlingen, der Fuchs ist wehrlos gegen Wölfe“.

„Wir müssen wie die Wölfe werden“, so verstanden die LPG- Vorsitzenden auf ihrem letzten Bauerntag 1990 bereits ihre Bedrohung durch die BRD-Politik. Die DDR-Betriebsräte lasen statt Machiavelli lieber das Betriebsverfassungsgesetz: „Das war schon fast meine Bibel“, erinnert sich einer der wenigen gegen die Treuhand erfolgreichen Betriebsratsvorsitzenden – Peter Hartmann (sic!) vom Batteriewerk Belfa. Nach Protestproduktionen und Hungerstreik wurde sein Betrieb privatisiert, er selbst jedoch arbeitslos. Jetzt ist der ehemalige Stanzer PDS-Bundestagsabgeordneter.

Der maoistische Theoretiker der KPF, Louis Althusser, rechtfertigte 1992 in seiner Autobiographie „Die Zukunft hat Zeit“ die Notwendigkeit einer proletarischen Doppel-Massenorganisation wie KPF/CGT, ihr Versagen 1968 hielt er jedoch für „Verrat“. Althusser selbst, glückloser Kämpfer eines „theoretischen Antihumanismus“, balancierte zwischen Spinoza und Machiavelli aus: „Was ich Machiavelli an gänzlich Erstaunlichem verdanke, ist die Grenz-Idee, daß das Glück seinem Wesen nach die Leere und insbesondere die innere Leere des Fürsten ist, die im Spiel und im Zusammenhang seiner Leidenschaften die Rolle des Fuchses an die oberste Stelle setzt, die es gerade erlaubt, zwischen dem Fürst-Subjekt und seinen Leidenschaften eine Distanz aufzurichten, in der das Sein als Nicht-Sein und das Nicht-Sein als Sein in Erscheinung treten kann. Diese erstaunliche Konzeption trifft, wenn man sie ein wenig erläutert, tatsächlich mit der tiefsten analytischen Erfahrung zusammen, der Distanzierung von seinen eigenen Leidenschaften, sagen wir genauer: von seiner Gegenübertragung.“

Eine Art psychoanalytische Gegenübertragung ist für Althusser auch die proletarische Partei, deren geglückte Fuchs-Werdung demnach Verrat bedeutet. Gleichzeitig versuchte er aber – mit Spinoza – „den Körper (zu) denken“, auch seinen eigenen. Spinoza definierte den Menschen bekanntlich nicht über sein „Wesen“, sondern über seine „Funktionen“ (Ein Ackergaul stünde demnach einem Esel näher als einem Rennpferd). Damit ließ sich dann – historisch materialistisch – auch der proletarische Internationalismus gegen den Nationalismus etwa ins Feld führen. Wobei deren Organisation jedoch eines „organischen Kontakts“ (Gramsci) zu den arbeitenden Massen bedarf, denn erst über die „Arbeit“ konstituiert sich der Körper, der denkt. Helmut Höge

wird fortgesetzt

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