■ Normalzeit: Von A wie Andersch bis Z wie Zwerenz
Das war die junge wilde westdeutsche Nach-Böll-Friedensliteratur – um Ausdruck ringend zwischen Allen Ginsburg und Stephan Hermlin, die nun beide, ebenso wie Alfred Andersch, mausetot sind. Der Überlebende, Gerhard Zwerenz, kam dann auch als erstes auf diese beiden zu sprechen („Ihr Tod wiederholt sich nicht“) – bei seiner letzten Lesung am 7.4. in der Kulturbrauerei. Er, der auch mit den beiden inzwischen verstorbenen W's – Wolfgang Harich und Walter Janka – befreundet war, sowie mit den noch lebenden Erich Loest und Wolfgang Leonhard, hätte auch noch die jüngst ebenfalls gestorbenen Ost-Schriftsteller Erwin Strittmatter, Heiner Müller und Jurek Becker erwähnen können. Ginsberg kannte er im übrigen nur über Peter Rühmkorf, Kerouac jedoch immerhin „persönlich“. Mit Hermlin verband den einstigen WK-Zwo- Fahnenflüchtling und gelernten Kupferschmied Zwerenz dagegen eine lange „Feindschaft“.
Gerhard Zwerenz gehörte wie der noch lebende Hermann Kant, mit dem er zuletzt auf der Leipziger Buchmesse diskutierte, zu den „Hoffnungspartei“-Schriftstellern. Als „Bloch-Schüler“ setzte er sich aber dann bald in den Westen ab. Zunächst wie später Heiner Müller „als Pendler zwischen Ost- und West-Berlin“. Im Westen produzierte er bald Bücher wie ein Akkord-Arbeiter. Die ästhetische Linke nimmt ihm dort bis heute seine pornographische Massenware, die er auch noch in Supermärkten präsentierte, übel. Einige seiner vor 40 Jahren geschriebenen Kurzgeschichten, über „Die verlorene Generation“ z.B., wurden in Schulbuchsammlungen aufgenommen, seine Geschichte „Nicht alles gefallen lassen“ gelangte gar in den australischen Deutschunterricht. Ihre damalige „literarische Bewegung in Westdeutschland, die immer zugleich auch eine politische war, ,Wellerhoff-Schule‘ genannt, kommt jetzt zwangsläufig zu einem Ende – und zwar biologisch“. Wegen der neuen Medien sei das Nachkommende anders, ohne „Wortakrobatik“, die ans Buch gebunden sei. Der noch lebende Zwerenz hat sich ebenso wie sein langjähriger Freund, der gerade wieder mit Bypass-Problemen kämpfende „März“-Verleger Schröder, beizeiten aus dem „Kulturbetrieb“ zurückgezogen: „Damit will ich nichts mehr zu tun haben, die Schriftstellerei ist für mich nur noch ein Privatspaß.“
Vier neue Bücher hat der inzwischen für die PDS im Bundestag sitzende „Rentner“ und „Querdenker“ Zwerenz aber trotzdem schon wieder veröffentlicht – im kleinen „Dingsda-Verlag“ aus Querfurt (sic!), der auch die Lesung in der „Schlosserei“ der Kulturbrauerei organisierte. Einige Textsammlungen (z.B. die ironischen „Antworten des Herrn Z.“) sind älteren Datums: „Ab 1993 war ich nicht mehr gewillt, humorig zu reagieren!“ Vielleicht hängt das auch damit zusammen, daß sein Arzt ihm das Zigarrenrauchen verbot. Wenn man auch über die Qualität seiner Werke geteilter Meinung ist, Zwerenz' Kollegialität steht außer Zweifel: So bot er z.B. dem konkursgefährdeten Jörg Schröder sofort 120.000 Mark an, für die er sogar eine Hypothek auf sein Haus im Taunus aufnehmen wollte. Und neuerdings lobt ihn besonders der Bundestagsneuling Hanns-Peter Hartmann, ehemals Betriebsratsvorsitzender im Batteriewerk Belfa, dann arbeitslos und nun wie Zwerenz als Parteiloser in der Bonner PDS- Gruppe: „Von Zwerenz habe ich viel gelernt!“ Zuletzt schickte Hartmann ihm einen längeren biographischen Text über sich, den ausgerechnet Zwerenz daraufhin prüfen sollte, ob er nicht vielleicht zu „sexistisch“ für die PDS-Frauen geraten war. So wird Zwerenz auf seine alten Tage doch wieder zu einem „Hoffnungspartei“-Schriftsteller – wenn auch eben nur zu seinem Privatvergnügen. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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