■ Normalzeit: Diplomaten(s)paß
Nach seiner Ernennung zum MdB bekam der Berliner Abgeordnete Hartmann neben einer Immunitätsbescheinigung auch noch eine Plastikkarte mit der Aufschrift „Mitglied des Bundestages“ in Bonn ausgehändigt. Diese klemmte er sich zu Hause an die Windschutzscheibe seines blauen Trabant – und fuhr damit vor das Bundestagsabgeordnetenhaus Unter den Linden. Ein Pförtner kaum herausgestürzt – und versuchte ihn wegzuscheuchen: „Hier können Sie nicht stehen!“ „Und ob ich das kann.“ „Das ist nur für Abgeordnete!“ „Kucken Sie mal, was ich hier an der Scheibe habe!“ „Wo haben Sie denn das her?“ Hartmann stieg aus, ohne ihn einer weiteren Antwort zu würdigen.
Nachdem diese Hürde genommen war, beantragte der Abgeordnete einen – Diplomatenpaß! Als erstes fuhr er damit nach Polen übers Wochenende. Mit ihm im Wagen, der nicht seiner war, saßen: seine polnische Freundin Ewa, sein schwäbischer Eigentumswohnungsverkäufer, der Wirt des „Hollywood“ in Oberschöneweide, dessen ukrainische Freundin sowie dessen weißrussische Angestellte und deren Hund. Dieser besaß zwei Impfpässe: einen deutschen und einen weißrussischen – beide unvollständig. Die Schlange an der Grenze war an dem Tag etwa vier Kilometer lang. Hartmann zückte seinen Diplomatenpaß und fuhr bis zum ersten Zollbeamten vor: „Was veranstalten Sie denn da?“ „Bitte, mein Diplomatenpaß!“ „Ach so, Entschuldigung.“ Dann, nach einem Blick auf die anderen Pässe: „Das ist ja ein buntgemischtes Völkchen!“ „Ja, wir befinden uns auf einer internationalen Begegnungstour!“
Beim zweiten Mal war es den Mitfahrenden zunächst gar nicht recht, an Hartmanns Papiermagie zu partizipieren: Das war auf einer Reise durch Bosnien-Herzegowina, auf Einladung der PDS Sachsen-Anhalts. Die Gruppe wurde von einem ehemaligen Cap-Anamur-Mitarbeiter dort geführt. Es galt zu erkunden, „was die Flüchtlinge bei ihrer Rückkehr zu erwarten hatten.“ Die Gruppe besichtigte Dörfer, Fabriken, serbische Siedlungsgebiete und Kommandanturen, sprach mit Krankenhausbeschäftigten, Roma-Funktionären, EU- Beauftragten und Hilfsorganisationen. Einmal kamen sie an eine gesprengte Brücke über den Grenzfluß Una. Nebendran gab es einen Fährdienst: Hier hatte sich bereits eine viele Kilometer lange Warteschlange gebildet. Obwohl seine Genossen bis dahin stets den privilegierten Status der Reisegruppe zu senken getrachtet hatten, baten sie Hartmann an dieser Fährstelle dann doch, ihnen mit seinem Paß Vortritt zu verschaffen. Und so geschah es dann auch. Im anschließenden Bericht, der in seinem Bonner Büro angefordert werden kann, heißt es im übrigen am Schluß: “...wir waren dann doch alle der Meinung, daß unabhängig der vielen unsinnigen Opfer aller Ethnien die Kroaten die Gewinner und die Serben die Verlierer des Krieges waren.“
Das dritte Mal zückte Hartmann seinen Diplomatenpaß am Brandenburger Tor. Wegen einer „Republikaner“-Demonstration sowie Gegendemonstration hatte die Polizei das Gelände weiträumig abgeriegelt: Jeder, der durch wollte, wurde kontrolliert. Ihm nahmen die Beamten den hingehaltenen Diplomatenpaß ab und besahen ihn sich erst einmal gründlich. „Der ermöglicht Ihnen nur Kontrollfreiheit bei einer Reise!“ „Ich bin doch auf Reise – zu Fuß!“ „Nichts für ungut!“ Damit blieb er unkontrolliert.
Jetzt bei seiner Reise nach Israel nützte ihm der Paß jedoch gar nichts: Er mußte wie alle anderen aus Sicherheitsgründen drei Stunden früher zur Abfertigung und zudem etliche Formulare ausfüllen, in dem er versicherte, sein Gepäck eigenhändig gepackt und danach keinen anderen mehr an seine Koffer rangelassen zu haben. Die ganzen Kontrollen waren aber notwendig: Ewa wollte unbedingt und endlich Schwimmen lernen – im Toten Meer! Helmut Höge
wird fortgesetzt
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