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■ NormalzeitImmer wieder scheitern, aber nie aufgeben

Zu den herausragenden Zeitungsläden unseres Viertels zählt der von Fred Abel in der Skalitzer Straße 96. Er hat von morgens um vier bis abends um neun auf. Laut Firmenstempel ist es ein „Tabakcenter“. Obwohl ich dort nur unregelmäßig einkaufe, bekam ich Ende 1997 von Abel eine Flasche Wein geschenkt. Mein einziges Weihnachtsgeschenk!

Fred Abel hatte einst Kellner auf Schloß Brüningslinden in Kladow gelernt: „Das gibt's aber nicht mehr.“ 1989 übernahm er den Tabakladen von Siggi Neumann, einem Drahtseilartisten, der mit einer Motorradnummer – zwischen Kirche und Oberbaumbrücke – berühmt wurde. Abel wird in diesem Jahr 60, „aber ich fühl mich nicht so – ich bin immer noch dieser Fred. Meine Braut sagt das auch: Kerstin Fischer – die ist phantastisch. Sie ist gelernte Hutmacherin und malt z.B. alle Schilder für den Laden – wie nix. Sie ist auch Mitinhaberin.“ Und dann gibt es da am Stehtresen noch die „nette Truppe“: eine Gruppe ruhiger Trinker, Raucher und Skatspieler. Sie haben schon drei Preisskatrunden gewonnen: Die „Zeitungsladenpokale“ stehen im Regal.

Sieben mal wurde Fred Abels Laden bereits ausgeraubt. Nach dem dritten Mal kündigte ihm seine Versicherung. „In Kreuzberg haben ja viele Probleme mit ihrer Versicherung.“ Am 1. März 1998 wurde erneut bei ihm eingebrochen, diesmal transportierten die Diebe fast das gesamte Inventar ab: Zigaretten, Alkoholika, Süßigkeiten, sogar das Telefon und teure Zeitschriften. „Sie haben mich total ausgeraubt.“ Fred Abel war wie betäubt.

Dann sprang auch noch sein dritter Teilhaber Peter Bittner ab. Fred Abel mochte gar nicht mehr seinen leeren Laden betreten, meist hielt er sich bei der attraktiven Bäckerin nebenan auf, ab und zu ging er zum Briefkasten und holte unbezahlte Rechnungen raus.

Am 27. 4. lag zum Glück nur Reklame im Kasten, aber Fred Abel knickte plötzlich so unglücklich mit dem Fuß um, daß er sich dabei dreimal sein Bein brach. Damit war jedoch seine Pechsträhne anscheinend zu Ende, denn jemand lieh ihm Geld, und kurz danach gewann er auch noch den Kreuzberger Kaufmann Salih Ötkem als neuen Teilhaber dazu – und der ließ sofort den ganzen Laden durchrenovieren: „Der hat richtig was drauf, der Junge – als Geschäftsmann“, so Fred Abel, der jetzt „fast nur noch Mitarbeiter“ ist.

Seit dem 20. 7. ist der Laden nun wieder geöffnet – und mit einer teuren Alarmanlage ausgestattet. Ansonsten ist das Angebot aber wie früher: Morgens gibt es belegte Brötchen, frischen Kaffee und die türkische sowie deutsche Presse, darunter die seltenen „Traber-Kuriere“ aus Mariendorf und Karlshorst, die von 10 Kunden gekauft werden, und den „Box-Sport“, den vier Leute verlangen.

Dann gibt es natürlich Tabakwaren, die den Hauptumsatz ausmachen, sowie Eis und Süßigkeiten, ferner sieben Sorten Bier, diverse Schnäpse sowie Weine, darunter der seltene „Bad Cannstätter Zuckerle“ und einige gängige türkische Weine. Außerdem noch Schokodrinks, Luftballons, diverse Formulare, Berlin- und Kreuzberg-Postkarten – und Schulsachen: „Wir haben hier drei Schulen in der Nähe!“ Im Regal der Zeitschriften, speziell bei den Sexblättern, sieht es noch etwas mau aus: „Aber das wird sich auch bald ändern“, verspricht Fred Abel, der davon ausgeht, daß demnächst sowieso wieder alles wie früher sein wird – „sogar noch besser!“ Langsam trudeln auch die alten Stammgäste wieder ein.

In letzter Zeit gab es hier nicht nur viele türkisch-deutsche Geschäftsgründungen, etliche Türken haben auch alleine Zeitungs- und Tabakläden aufgemacht. Der erste und beste war lange Zeit der türkische Kiosk unterm U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof, am höflichsten ist das Ehepaar des alteingessenen Lottoladens in der Oranienstraße, und am merkwürdigsten das Tabakgeschäft in der Manteuffelstraße, das einem selbstbewußt-kundenfeindlichen Kerndeutschen gehört. Er will vor allem Angelausrüstung verkaufen. Helmut Höge

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