■ Normalzeit: Verbesserungsbedürftiges Neuererwesen
Viele Erfinder leiden statt an geldgierigen Geschäftsleuten unter eingebildeter Verfolgung. Zum Beispiel der „Ritter aus Spandau“: Ein Krankenhaustechniker, der einen seriell herstellbaren Maßschuh erfand, für den sich niemand interessierte, weswegen er sich „medienwirksame Aktionen“ ausdachte, die er jedoch immer wieder ausbremste: aus Angst vor dem Erfindungsklau. Den fürchtet auch das Ehepaar Olschewski – ein Chemiker-Ehepaar aus der DDR- Akademie, das ein Waschmittel auf Hanföl-Basis erfand. Sie arbeiteten zunächst mit dem „Hanfhaus“ zusammen, fühlten sich dann aber von den Alternativen in ihrer Urheberschaft verletzt. Neulich besuchte sie ein Erfindungsmakler, der einen Interessenten für ihr Waschmittel in Moskau kannte. Aus Angst vor Patentdiebstahl gaben sie ihm nicht einmal eine Beschreibung ihrer Erfindung. Umgekehrt verhielt es sich mit dem Erfinder Dieter Binninger: Hier waren wir es, die paranoisch wurden, als das Weddinger Multitalent mit seinem Flugzeug abstürzte. Er besaß Patente auf dem Gebiet der elektronischen Bildübertragung, die er auch vermarktete. Für seine Erfindung, die fast unsterbliche Glühbirne (mit 150.000 Stunden Brenndauer), besaß er sogar eine kleine Fabrik. Weil er aber kurz vor dem Unfall die zur Abwicklung vorgesehene DDR-Glühbirnenfabrik Narva übernehmen wollte, vermuteten wir zunächst, daß man ihn – ebenso wie zwei Wochen später dann Detlev Rohwedder – „abstürzen“ ließ. Sein Glühbirnenpatent übernahm der zeitweilige Vorsitzende des Erfinderverbandes, Wolfgang Bogen, der berühmteste Erfinder Westberlins. Er hatte sich mit Tonabnehmern befaßt. Die Digitalisierung warf ihn aus dem Geschäft, er kandidierte dann für die „Republikaner“. 1996 versuchte er ein Comeback mit Binningers unsterblicher Glühbirne. Vergeblich. Sein Verband organisiert im Wilmersdorfer Café Blisse einen Erfinder-Stammtisch. Dort traf ich den Klimatechniker Miroslaw Janowicz, der einen Rückspiegel ohne toten Winkel erfand. Keine Autofirma wollte so etwas haben, weil – so sagten sie – 70 Prozent aller Blechschäden bei Überholunfällen passieren und sie sich damit selbst ruinieren würden. Miros erfand dann ein Windkraftwerk mit doppelter Leistung: Der Stator funktioniert dabei als zweiter Rotor. Außerdem noch ein neues Getriebesystem sowie eine Wasserturbine. Er hat inzwischen einen schwäbischen Kneipenunternehmer, bei dem er auch wohnt und der ihm bei der Vermarktung hilft, aber so richtig gab es noch kein Interesse – bis hin zur Öffentlichkeit – dafür. Seine Paranoia besteht darin, daß er in jedem Gespräch möglichst alle Details seiner „Projekte“ unterbringen will. Ein weiterer Getriebe-Erfinder ist der MIG-Testpilot Rawil Chadejew. Nach Abzug der Roten Armee aus Brandenburg quittierte er den Dienst – und sattelte um auf Philosophie. Zuvor hatte er darin seine zweite Doktorarbeit geschrieben, seine erste befaßte sich mit den Auswirkungen der MIG-Beschleunigung auf die Piloten-Vernunft. Hierfür sollten wir ihm einmal einen Interessenten suchen. Ich bot sie einem DDR-Weltraummediziner an, bekam aber keine Antwort. Rawil hatte als Betroffener und Philosoph des Truppenabzugs in einem Film darüber (von R. Kühn und E. Schreiber) mitgewirkt. Zuletzt saß er auf seinem Grundstück am Schwarzen Meer in einem ausgebauten Armeebus und klagte leise, wie schrecklich es sei, sich den ganzen Tag nur um das eigene Wohlbefinden kümmern zu müssen. Er vermißte den Armeedienst und verglich sich mit einem entlaufenen Hund, den ein paar Jungs in der Nähe aufgegriffen und von seinem Halsband befreit hatten. Noch tagelang hätte der Hund die Kette mit sich herumgetragen – irgendwann verlor er sie: „Aber das dauert!“ Als linker Journalist, der ja quasi darauf angewiesen ist, daß einem die Ideen entwendet werden, kann man für die Erfinder-Paranoia nur schwer Verständnis aufbringen. Helmut Höge
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen