: „Normale“ Probleme für die Aids-Arbeit
■ Weltaidstag in Bremen: Aids-Bericht sieht „keine Entwarnung“ trotz Normalisierung
Durch Bremen wehte ein eisiger Wind, als gestern Mitglieder der „Aids-Hilfe Bremen“ mit der Partybahn der BSAG durch die Stadt fuhren. Sie verteilten mit vollen Händen Informationsbroschüren und Kondome: Gestern war Weltaidstag und unter dem Motto „Familie kümmert sich, Familie feiert“ wollten die Aids-AktivistInnen die große Familie von Betroffenen, Verwandten, PartnerInnen und HelferInnen als ein „soziales Netz, das seinesgleichen sucht“ feiern. Viel Zeit und Lust zum Gespräch hatten die PassantInnen im kalten Wind nicht – die Kondome fanden aber trotzdem guten Absatz.
„Es gibt ein relativ gutes und stabiles Versorgungsnetz in Bremen“ meinte Rüdiger Schumacher von der Aids-Hilfe. Die Zusammenarbeit mit den Behörden und die medizinische Versorgung von Aids-Kranken seien recht gut. Gesundheitsstaatsrat Hans-Christoph Hoppensack warnte zwar, es gebe zum Thema Aids „keinen Grund zur Entwarnung“, doch gleichzeitig wünschte er sich, daß „alle Probleme so gut angegangen würden wie dieses.“
Rechtzeitig zum weltweiten Aids-Aktionstag hatte die Gesundheitsbehörde gestern den aktuellen „Aids-Bericht 1991-1993“ vorgelegt. Demnach sind seit 1982 von den bundesweit knapp 11.000 gemeldeten Aids-Kranken 158 in Bremen registriert worden. Von diesen sind bisher 71 gestorben, 87 Prozent der gemeldeten Fälle sind Männer, 13 Prozent Frauen. Der Bericht schätzt die Dunkelziffer auf 250 bis 300 Aids-Kranke in Bremen. Für Bremen notiert der „Aids-Bericht“ einen unerklärlich hohen Anteil von Drogen als Infektionsrisiko: Während in anderen Städten wie Berlin 13 Prozent aller Aids-Kranken sich über Heroinspritzen infiziert haben, sind es in Bremen 30 Prozent. „Über die Gründe“, so der Bericht, „kann nur spekuliert werden.“
Im Umgang mit Aids sei in den letzten Jahren „zunehmend eine Normalisierung“ eingetreten, stellt das Papier fest. Doch zum Aids-Alltag gehören auch die „normalisierten“ Probleme: Manche Krankenkassen versuchen, Aids-Kranke schnell aus dem Krankengeld in die Rente abzudrängen, wo sie wegen ihrer geringen Lebensarbeitszeit bald in soziale Not gerieten, hieß es von den Projekten. Auch die Tatsache, daß immer mehr Aids-Kranke durch medizinische Fortschritte länger leben, belastet – so zynisch das klingen mag – die MitarbeiterInnen der Hilfsangebote zusätzlich. Probleme gibt es auch, weil bestimmte Zielgruppen wie etwa junge Stricher vom Beratungsangebot kaum erreicht werden.
Eines der größten Probleme ist nach wie vor die Weigerung der Bremer Justizbehörden, in den Gefängnissen sterile Einwegspritzen zu verteilen. Was der Aids-Bericht trocken mit der „Suche nach Wegen, die HIV-prophylaktischen Angebote im Vollzug zu verbessern“ beschreibt, nannte Staatsrat Hoppensack „bitter“: Der Beschluß der Justizdeputation Ende November, zu dem Thema nichts zu beschließen und abzuwarten. Der „Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit – akzept“ forderte dann auch von Bremen „endlich konkrete Schritte, statt weiterhin abzuwarten und Infektionsrisiken einzukalkulieren“. Vorbild für „akzept“ ist Niedersachsen, wo Justizministerin Alm-Merk angekündigt hat, Spritzenfreigabe für Drogenabhängige im Strafvollzug wenigstens „konkret zu prüfen.“ bpo
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