Nordkoreas Diktator in China: Spekulationen um "Geliebten Führer"
Eine Chinareise des Diktators Kim Jong-il nährt Gerüchte über eine bevorstehende Ablösung des schwer kranken Staatschefs. Zudem versetzt dieser damit Ex-US-Präsident Jimmy Carter.
Nordkoreas Machthaber Kim Jong-il ist laut südkoreanischen Regierungskreisen in der Nacht zu Donnerstag überraschend nach China gereist. Mit seiner zweiten Reise in diesem Jahr dürfte er den früheren US-Präsidenten Jimmy Carter versetzt haben, der am Vortag in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang eintraf. Dem 85-jährigen Friedensnobelpreisträger war die Freilassung eines US-Bürgers aus nordkoreanischer Haft in Aussicht gestellt worden, den Carter bereits am Donnerstag in die Heimat mitnehmen wollte.
Carters Besuch wurde vom State Department vorab als "private humanitäre Mission" bezeichnet. Doch verbanden Beobachter damit die Hoffnung, dass Carter die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel entschärfen und gar zur Wiederaufnahme neuer Gespräche beitragen könnte. Die Hoffnungen wurden auch dadurch genährt, dass Carter am Flughafen von Vizeaußenminister Kim Gye-gwan empfangen wurde, Nordkoreas Vertreter bei den Sechs-Parteien-Gesprächen über dessen Atomprogramm. Carter hatte bereits 1994 mit einem Besuch beim damaligen Machthaber und Übervater Kim Il-sung Nordkorea sowohl zurück in den Atomwaffensperrvertrag wie an den Verhandlungstisch geholt. Jetzt ist dessen Sohn und Nachfolger Kim Jong-il gesundheitlich angeschlagen. Als seine Hauptsorge gilt, seinen dritten und jüngsten Sohn Kim Jong-un, der Ende zwanzig sein soll und weitgehend unbekannt ist, als Nachfolger durchzusetzen. Dies wird für einen im September geplanten Parteitag erwartet.
Kim Jong-ils China-Reise bestätigten am Donnerstag weder Peking noch Pjöngjang. "Üblicherweise erfolgt dies erst nach der Rückkehr," sagte Professor Choi Kang, Nordkoreaexperte beim südkoreanischen Außenministerium, am Donnerstag europäischen Journalisten in Seoul. Er bestätigte die Information seines Ministeriums über die Reise. Der Agentur AP sagten derweil zwei Lehrer in der nordostchinesischen Provinz Jilin, dass Kim ihre Schule am Donnerstag besucht habe. Dort hatte sein Vater einst gelernt und agitiert, was in Nordkorea zur Legende um den "Großen Führer" gehört. Ob jetzt Kims Sohn dabei war, konnten die Lehrer nicht sagen. Ein solcher Besuch könnte ein Versuch Kims sein, die familiären Verbindungen von seinem Vater zu dessen Enkel zu betonen.
Dass Kim Carter offenbar nicht traf, dürfte deutliches Zeichen dafür sein, dass er die Zeit noch nicht für reif hält, um wieder Gespräche mit den USA zu führen. Kims Reise hat laut Choi drei Ziele: "Erstens die Unterstützung Pekings für seinen Nachfolger, zweitens wirtschaftliche Hilfe von China und drittens Gespräche über die Abwehr angedrohter neuer US-Sanktionen."
Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel hatten mit Nordkoreas zweitem Atomtest im April 2009 wieder zugenommen und hatten sich mit Pjöngjangs Absage an die Sechs-Parteien-Gespräche im Dezember sowie der Versenkung einer südkoreanischen Korvette mit 46 Soldaten im März verschärft. Seoul und Washington werfen Nordkorea die Versenkung des Schiffes vor, was Pjöngjang bestreitet. Mit einem großen Marinemanöver hatten Seoul und Washington ihrerseits die Spannungen verschärft, worauf Pjöngjang mit martialischen Kriegsdrohungen reagierte. Ein US-Offizier am Grenzort Panmunjom erklärte allerdings am Mittwoch der taz, dass die Situation dort in letzter Zeit nicht angespannter sei.
Am Donnerstag traf Chinas Sondergesandter Wu Dawei in Seoul ein. Letzte Woche war er in Pjöngjang gewesen und hatte berichtet, dass Nordkorea bereit zur Wiederaufnahme der sechs-Parteien-Gespräche sei. Seoul und Washington bestehen zuvor allerdings auf einer Entschuldigung Nordkoreas für die Versenkung der Korvette.
Experte Choi glaubt nicht an einen Erfolg von Gesprächen, bis Nordkoreas Führungswechsel abgeschlossen ist. Bis dahin erwartet er eine unruhige Zeit und den "unkonventionellen Gebrauch konventioneller Waffen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“