Nordkoreas Diktator fehlt bei Staatsjubiläum: Großer Führer verschwunden
Bei der Parade zum 60. Jahrestag der Staatsgründung Nordkoreas fehlte Kim Jong Il. Ist der "Große Führer" schwer erkrankt? Ohne offizielle Information blühen Theorien.
Wochenlang hatten sie für die große Parade geübt. Statt nach der Arbeit nach Hause zu gehen, mussten zehntausende Nordkoreaner trainieren, im perfekten Gleichklang zu marschieren, um den 60. Jahrestag der Gründung ihres Staates zu feiern.
Doch als die Männer und Frauen am Dienstag vor der Tribüne in mehr als 30 quadratischen Kolonnen vorbeidefilierten, suchten sie dort oben vergeblich den Mann, der ihr Schicksal seit 14 Jahren lenkt: Der 66-jährige Generalsekretär, Große Führer und Generalissimus Kim Jong Il war nicht gekommen. Auch auf dem anschließenden Massen-Fackelzug und dem Bankett für ausländische Delegationen tauchte er nicht auf.
Das war nicht die einzige Merkwürdigkeit dieser Feier, für die Pjöngjangs Bewohner drei Tage frei bekommen hatten: Die Parade fand zudem völlig ohne Militärs statt. Stattdessen marschierten nur die Milizen mit ihren typischen Ballonmützen über den Platz im Zentrum Pjöngjangs. Schwere Waffen und Panzer führten sie nicht vor.
Die Abwesenheit Kims, dessen Vater Kim Il Sung einst die "Demokratische Volksrepublik Korea" ausgerufen und damit die Teilung der koreanischen Halbinsel besiegelt hatte, heizt die Gerüchte und Spekulationen über eine schwere Krankheit des Politikers und eine Krise in der Führung des abgeschotteten Staates an.
Kim habe bereits am 22. August einen Schlaganfall erlitten, berichten südkoreanische Zeitungen, die sich auf Geheimdienste stützen. Mediziner aus China und Frankreich seien an sein Krankenbett geeilt. Doch genau weiß niemand etwas. In Nordkorea ist es tabu, über die Gesundheit des Führers zu spekulieren: "Wir erfahren hier immer alles zuletzt", sagte eine Bewohnerin der Hauptstadt. Ein nordkoreanischer Diplomat wies Zweifel an Kims Gesundheit als Beweis einer "Verschwörung" gegen sein Land zurück.
So darf auch über eine mögliche Nachfolge Kims nicht gesprochen werden. Anders als Staatsgründer Kim Il Sung, der 1994 plötzlich starb, hat sein Sohn keinen Nachfolger bestimmt. Fachleute gehen davon aus, dass die Dynastie am Ende ist und keiner der drei Kim-Söhne neuer Herrscher wird. Das mächtige Militär, heißt es, wird so eine Erbfolge nicht mehr akzeptieren. Wahrscheinlicher sei eine Militärjunta. Davon gehen auch chinesische Experten aus.
Die Spekulationen über die Gesundheit Kims fallen in eine heikle Zeit. Diplomaten und ausländische Besucher sprechen von einer neuen Eiszeit auf der koreanischen Halbinsel. Die Hoffnung auf einen baldigen Friedensvertrag mit den USA, der den Koreakrieg (1950-53) offiziell beenden würde, hat sich vorerst zerschlagen.
Grund ist der Streit um Pjöngjangs Atomprogramm. Obwohl Nordkorea seinen Plutoniumreaktor in Yongbyon verschrottet hat, haben die USA das Land nicht von der Liste der Terrorstaaten gestrichen, weil sie zuerst "nachprüfbare Belege" fordern, dass nicht woanders noch Atomanlagen stehen. Pjöngjangs Generäle fühlen sich getäuscht.
Hardliner unter den Militärs sehen ihr tiefes Misstrauen gegenüber den Absichten der USA bestätigt. General Kim Yong Chun, Vizevorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission, rief zu "Wachsamkeit" auf. "Hinter dem Vorhang des Dialogs" hätten die USA nichts anderes im Sinn, als Nordkorea zu "zerschlagen".
Andere Politiker hoffen weiterhin auf eine Annäherung an die USA und eine allmähliche Öffnung. Der protokollarische Staatschef Kim Yong Nam erklärte vor ausländischen Gästen, seine Regierung sei fest entschlossen, bis zum Jahr 2012 die Tore des Landes so weit zu öffnen, dass es "stark und wohlhabend" wird.
Möglich ist deshalb, dass sich Militärs und zivile Führung derzeit über den weiteren Kurs gegenüber den USA streiten. So viel ist sicher: Niemand ist in Pjöngjang bislang stark genug, Reformen nach dem Vorbild Chinas durchzusetzen. Während sich viele Nordkoreaner durch kleine Privatgeschäfte über Wasser halten und die Bauern ihre Privatparzellen bepflanzen, hält das Regime an seinem Staatssozialismus fest. Ein harter Winter steht bevor. In vielen Städten fällt tagelang der Strom aus, die Ernten sind knapp, Millionen Nordkoreaner müssen wieder auf Lebensmittelhilfen hoffen.
Niemand will aber ausschließen, dass Kim wieder auftaucht, womöglich bei einer der abendlichen Arirang-Massengymnastik-Veranstaltungen im "1.-Mai-Stadion", bei denen Zehntausende in diesen Tagen zur Ehre der Kims marschieren, tanzen und Saltos schlagen müssen.
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