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Archiv-Artikel

Nordkorea fühlt sich unter Druck

Die Regierung in Pjöngjang hat nicht aus reinem Mutwillen Verträge aufgekündigt. Sie sieht sich durch die Politik der Bush-Administration real bedroht

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Warum hat Nordkorea einen Teil seiner Verpflichtungen aus dem im Oktober 1994 in Genf unterzeichneten Rahmenabkommen mit den USA aufgekündigt? Ist die Regierung in Pjöngjang verrückt? Plant sie tatsächlich einen massiven Ausbau ihres Atomwaffenarsenals, ja gar einen Einsatz dieser Massenvernichtungsmittel gegen Nachbarstaaten wie Südkorea oder Japan oder gegen die USA?

Diese Fragen stellen sich angesichts der gegenwärtigen Spannungen zwischen Nordkorea und den USA sowie der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO). Befriedigende Antworten und Erklärungen sind ist bislang ausgeblieben – nicht zuletzt, weil in der bisherigen internationalen Berichterstattung eine wesentliche Information unter den Tisch gefallen ist. Das Abkommen zwischen den USA und Nordkorea aus dem Jahre 1994 enthält bis heute geheime Zusatzprotokolle, die für die Zustimmung der Regierung in Pjöngjang zu dem Hauptabkommen seinerzeit von größter Bedeutung war. Der damalige Chefunterhändler der Clinton-Administration, Robert Gallucci, bestätigte am Tag der Unterzeichnung des Abkommens zwar die Existenz „vertraulicher Zusatzprotokolle“, erklärte zu deren Inhalt aber lediglich, er stünde „in Einklang mit dem Hauptabkommen“. Nach Auskunft von an den Verhandlungen beteiligten Vertretern der US-Regierung gegenüber der taz enthalten diese Zusatzprotokolle neben einigen prozeduralen Regelungen für die Arbeit der IAEO-Inspekteure zur Überwachung ziviler nordkoreanischer Atomanlagen so genannte negative Sicherheitsgarantien (negative security assurances) der USA an Nordkorea.

Konkret sicherte die Clinton-Administration Pjöngjang damals zu, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen gegen Nordkorea zu verzichten („no first use pledge“). Zudem „erneuerten“ in dem Zusatzprotokoll beide Seiten ihre „Bereitschaft, die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel voranzutreiben“. Damit war ausdrücklich auch ein Abzug aller US-amerikanischen Atomwaffen aus Südkorea gemeint.

Seit Amtsantritt der Bush-Administration im Januar 2001 hat die Regierung in Pjöngjang jedoch den Eindruck gewonnen, dass die Zusicherungen der USA aus dem Jahre 1994 für Washington heute keine Gültigkeit mehr haben. Die Bush-Administration erklärte Nordkorea gemeinsam mit Irak und Iran zur „Achse des Bösen“, bezeichnete die drei Staaten als „Schurkenstaaten“ und setzte sie unter den – bis heute nicht bewiesenen Verdacht – der Weitergabe von Massenvernichtungswaffen an Terroristen. In den im Februar 2002 bekannt gewordenen neuen nuklearen Einsatzdoktrinen des Pentagon wird Nordkorea ausdrücklich als ein Land (neben sieben anderen) genannt, gegen die sich die USA künftig das „Recht“ auf den Einsatz von Atomwaffen vorbehalten, weil diese Länder angeblich ihrerseits Massenvernichtungsmittel entwickeln oder besitzen und/oder die Gefahr bestehe, dass sie diese an andere Staaten oder Terrorgruppen weitergeben. Mit ihrer am 17. September 2002 verkündeten neuen „Nationalen Sicherheistsstrategie“ erklärte die Bush-Adminstration die Drohung mit dem – notfalls sogar „vorbeugenden“ – Einsatz von Atomwaffen gegen Nordkorea oder andere „Schurkenstaaten“ ganz offiziell zu ihrer Politik. Spätestens die Verkündung dieser neuen Sicherheitsstrategie wurde in Pjöngjang als Aufkündigung von Washingtons „no first use“-Zusicherung aus dem geheimen Zusatzprotokoll von 1994 gewertet. Bestätigt in dieser Wahrnehmung fühlte sich Pjöngjang zuletzt durch die am 11. Dezember von der Bush-Administration verkündete „Nationale Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen“. Darin wird die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen gegen „Schurkenstaaten“ noch einmal ausdrücklich bekräftigt.

In Washington wird heute darauf hingewiesen, die in den Zusatzprotokollen von 1994 von der Clinton-Administration gegebenen Zusicherungen an Nordkorea seien lediglich „informell“ gewesen und keine völkerrechtlich verbindlichen Verträge. Auch an die damals von der Clinton-Adminsitation erklärte Bereitschaft zur vollständigen Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel fühlt sich die Bush-Administration nicht mehr gebunden. Diese Haltung offenbart über das konkrete Thema hinaus eine grundsätzliche Differenz in der Interpretation zwischenstaatlicher Vereinbarungen. In den Staaten Europas und noch mehr Asiens gelten Vereinbarungen und Zusicherungen von Regierungen in der Regel auch als verbindlich für die Nachfolgeregierungen – selbst wenn diese Vereinbarungen nicht öffentlich gemacht wurden, nicht formal unterzeichnet oder vom Parlament ratifiziert wurden, oder wenn sie gar nur mündlich getroffen wurden.